Mittwoch, 29. Juni 2011

Mehr Ostfriesland, mehr Musik und Uplengen



22. Mai 2011
Am Samstagabend habe ich noch lange mit Matthias Malcher und Ralf Strotman
zusammengesesssen – in der gemütlichen Küche unserer Ferienwohnung in Münkeboe. Nach Konzert oder Lesung muss man immer erstmal „runterfahren“ – wir sprechen über Musik und Bücher. Langsam tauen Matthias und Ralf auf, sie fangen an, zu witzeln – und das ist, als ob sie sich Tennisbälle zuspielen. Geschickt pfeffern sie Floskeln übers unsichtbare Netz, parieren, lassen keinen Spruch unbeantwortet ins Aus dröseln. Ich höre zu, und wundere mich nicht mehr, dass diese Band, das Otto Groote Ensemble, so gut zusammenspielt – sie fangen Stimmungen auf und ein, reagieren mit Gefühl und Verstand. Noch beim Einschlafen schmunzel ich.
Direkt nebenan von unserer Unterkunft ist das „Doerpmuseum“[1], in dem der Besucher am Leben in der früheren Zeit teilnehmen kann. Leider reicht mir nicht die Zeit zu einem Besuch, obwohl die alten Häuser, und das Versprechen, Handwerker bei der Arbeit zu beobachten, sehr reizt. Diesmal muss ich mich mit einem Bummel durch das Dorf, vorbei am Krog und an der obligatorischen Mühle, zufriedengeben. Aber ich meine immer, wenn man etwas nicht geschafft hat, ist das ein guter Grund, an den Ort zurückzukehren!
An diesem Sonntagmorgen holen Margritt und Herbert, meine aufmerksamen Gastgeber, mich wieder zum Frühstück ab. Drinnen diesmal, weil die Sonne sich etwas scheu zeigt. Und wieder kommen wir beim Erzählen von eins ins andere, sitzen lang und länger. Ich wundere mich: Hier sitze ich, die ich oft monatelang Tag für Tag in meinem Studio verbringe, selten mal herauskomme, in meinem Kopf Dialoge mit meinen Romancharakteren oder mit meinen Erzählern spinne, und unterhalte ich mich dauernd – mit Lebenden! Die Geschichten und Erfahrungen, die ich höre, fordern mich heraus, zu fragen, mitzusprechen, Beispiele aus meinem eigenen Umfeld auszutauschen. Ich genieße es auch, die deutsche Sprache in ihrer Vielfalt zu vernehmen, merke, wie sehr ich es in Australien vermisse, diese ganz normalen und doch tiefsinnigen Gespräche zu führen. Es ist selten, dass ich mich so unbekümmert mit anderen Deutschen unterhalte – ohne dass man sich seiner englischsprechenenden Umgebung bewusst ist. Am Nachmittag haben Margritt und ich Zeit zu einem Besuch in einem hübschen ostfriesischen Café, in dem ich eine ostfriesische Spezialität probiere: Buchweizenpfannkuchen, oder: Bookweitenschubbers. Mmmh – es schmeckt herbe, sehr nach Vollwert, was aber nichts mit Mode zu tun hat, so lese ich, sondern damit, dass Buchweizen in der Hochmoorgegend Ostfrieslands fast die einzige Kulturpflanze war, die dort wuchs[2]. Jedenfalls ist es ein ausgezeichnetes Gericht für jemanden, der den Zucker meiden muss.
Am Abend treffen wir Otto, Matthias und Ralf im Kulturverein Uplengen. Matthias und Ralf sind tagsüber mal kurz über die Grenze nach Holland gefahren, um ihrer zweiten Lust – dem Bluegrass[3] (einer besonderen Art der Country Musik) – zu frönen. Aber nun stimmen sie sich schnell wieder um und legen mit Otto ein Konzert mitreißender Schönheit hin. Otto stellt auch einige der Lieder vor, die auf der neuen CD zu hören sein werden. In den Auswandererliedern, speziell für ein Theaterstück geschrieben und auf hochdeutsch, gelingt es ihnen, genau die Emotionen einzufangen und die Stimmungen wiederzugeben, die der Auswanderer durchmacht: Hoffnung, Aufregung, Furcht, Unsicherheit, Heimweh und Sehnsucht.  
Ich lese diesmal aus „Am Galliberg“[4] – und ganz spontan, weil von einem von Ottos neuer Lieder inspiriert, lese ich auch das Ende der Geschichte vor. Dieser Abend ist ja genau wie dieses vierte Buch in der Familiensaga, ein Abschied – von Ostfriesland, von den musikalischen Lesungen, und von der Romanfamilie Petersen. Es ist wieder ein toller Abend – wenn auch das Publikum mich überrascht. Es ist viel distanzierter, viel schwerer zu erreichen und einzuschätzen. Es dauert sehr lange, bis sie sich genügend entspannen, um uns ihre Reaktionen zu Musik und Gehörtem spüren zu lassen. Bei mir, und vielleicht auch bei den Musikern, bedeutet das, das ich noch mehr geben muss, mich noch mehr verausgabe. Ich will sie überzeugen, will sie mitreißen, will sie verführen. Ich bin mir nicht sicher, dass es gelingt. Der Buchverkauf nach der Veranstaltung ist eher träge ...  
Noch am selben Abend veabschiede ich mich von meiner Freundin Margritt Kubick-Harms. Wie lange wird es dauern, bis wir uns wieder sehen? Mit Otto fahre ich zurück nach Bremen und wieder beginnt eine neue Etappe meiner Reise ...


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