Mittwoch, 29. Juni 2011

Vegesack

25 - 27.5.2011


Vegesack    25 - 27.5.2011

In Bremen hat mich ein lieber Bekannter abgeholt. Carsten Johow kenne ich, seitdem er auf dem Weihnachstbazar des Australisch-Deutschen Hilfswerk in Melbourne vor dem Bücherstand auftauchte, den ich mit meinem Kollegen, dem Schweizer Krimi- und Kinderbuchautoren Adrian Plitzco[1], unterhalte. Damals hielt ich mein erstes Buch Ebbe, Flut und Tod[2]  feil, und Carsten hatte den Leuchtturm erkannt. Fast fiel ich um vor Staunen, als Carsten sich als Vegesacker-Amrumer bekannt gab! Er ist in Vegesack geboren und hat Familie auf Amrum, also der direkten Nachbarinsel zu Föhr. Seitdem haben wir zusammen allerhand Seemannsgarn gesponnen, Frühstück im Yachtclub von Brighton, Friesentorten, und sogar Labskaus, zusammen genossen. Carsten ist der engagierte Förderer alles Norddeutschen in Melbourne, denn in den Köpfen der Melbourner spucken allzuoft süddeutsche Stereotypen herum – hier wird „Deutsch“ gern gleichgestellt mit Lederhosen und Weißwürschten. Keine Sorge, auch ich bin ein großer Anhänger der Weißwurst, und die Lederhose ist sicher ein sehr praktisches Kleidungsstück, aber das bedeutet nicht, dass man den Hering vergessen sollte. Auf einer crusade, das Image des Norddeutschen in Australien zu heben, hält Carsten auch das Hafenkonzert in Melbourne aufrecht – man kann sein Programm im 3ZZZRadio[3] hören.
Als Carsten und seine Frau Kazue hören, dass ich auch in die Bremer Gegend komme, laden sie mich sofort in ihr deutsches Heim in Stuhr ein, wo auch Carstens Schwester Doris in einem parkartigen Garten, mit riesigen Rhododendron und alten Bäumen und ihrer treuen Rotweilerhündin, lebt. In einer Landschaft, geprägt von schönen niedersächsischen Bauernhöfen, Pferden, der Weser und dem Teufelsmoor. Carsten gibt sich die größte Mühe, mir so viel wie möglich zu zeigen. Am Donnerstagmorgen sind wir um 7 Uhr morgens unter den ersten Besuchern auf dem Vegesacker Markt! Wir bummeln an dem schönen alten Hafen Vegesacks, zu den kopfsteingepflasterte Straßen, entlang alten Bürgerhäusern und historischen Hafenkneipen, führen. Wir überqueren die Weser auf einer kleinen Fähre, um Wildershausen und das Restaurant Gut Altona[4] aufzusuchen. Das Restaurant, mit seinem sonnigen Garten, ist gut besucht und das Essen äußerst empfehlenswert.Wir treffen Carstens Cousine und ihren Mann - und deren Freundlichkeit steht der Carstens und Doris' in nichts nach. Auf dem Rückweg bin ich alarmiert – „Carsten, wir fahren direkt in ein Gewitter hinein!“ rufe ich. Tatsächlich scheinen wir in einen dicken, gelblichen Dunst hineinzufahren, der mich an meine Kindheit erinnert. So verfärbte die Luft sich manches Mal, wenn ein Gewitter sich über der Nordsee zusammenbraute und nur darauf wartete, mit der Flut zur Insel zu ziehen. Carsten lächelt über meine Furcht und vertraut auf sein Können als Autofahrer, um uns da hindurchzulotsen. Alles geht gut – nur hören wir abends, dass es nicht ein Gewitter war, in das wir da hineinzogen, sondern die Aschenwolke des isländischen Vulkans, der sich mal wieder ausgehustet hatte. Tatsächlich ist das Auto auch mit Ascheflöckchen besät, und der Wirt unseres Restaurants beschwert sich, dass er alle Tische und Stühle hat abwischen müssen!
Am Spätnachmittag sind wir noch einmal in Vegesack. Wir treffen uns im Vegesacker Fährhaus mit Rita Apel, der Repräsentantin der „Leser an der Weser“[5]. Im selben Fährhaus findet auch einmal im Monat eine offene Lesebühne statt, an der jeder, der schreibt, egal was, teilnehmen kann. Rita erzählt uns von der „Offenen-Luft-Lesung“, die im August am Vegesacker Hafen stattfinden soll – eine Art Lesemeile entlang der Promenade! Tolle Idee! Wir schließen den Abend besonders stimmungsvoll: Mit einem Besuch in dem Restaurant Wümmeblick Höftdeich[6]. Schon die Fahrt durchs Teufelsmoor ist einmalig schön, und dann der Blick auf die stille Wümme vom romantischen Restaurantgarten. Ein kleiner Fähranleger lädt zum Träumen und Angeln ein. Langsam verfärbt sich der Himmel über der grünen Marsch und die Sonne versinkt am Horizont. Dazu esse ich natürlich ein typisch niedersächsiches Gericht: Knipp. Knipp, so Wikipidia, ist eine Art von Grützwurst, hergestellt aus Hafergrütze, Schweinskopf, Schweinebauch, Schwarte, Rinderleber und Brühe, gewürzte mit Salz, Pfeffer und Piment. Interessant!



Oldenburg und eine Absage

25.5.2011
Es scheint, ganz egal, wie lange im voraus und wie gut man plant, dass nicht alles klappt, wie man es sich vorstellt. Fast ein Jahr lang habe ich meine Tour geplant, Daten und Orte sorgfältig abgestimmt, um immer am richtigen Tag am richtigen Ort zu sein ... und dann kommt eine kurzfristige Absage. Diesmal vom Kaffeehaus Lindenallee. Nicht genug Anmeldungen, heißt es. Trotz meiner Versicherung, dass ich auch noch Gäste mitbringe, und obwohl das Café wegen eines abgestellten Telefonbeantworters nicht zu erreichen ist, wird die Lesung kurzerhand abgeblasen. Die Absage tut weh und ist ärgerlich. Für mich ist es nicht nur ein Verdienstausfall, sondern auch die verlorengegangene Chance, mein Buch potentiellen Lesern vorzustellen. Und was ist mit Gästen, die von außerhalb anreisen wollten, und die ich nicht mehr erreichen kann? Frustrierend. Immerhin kann ich mit Otto darüber reden. Absagen von seiten der Veranstalter sind scheint‘s etwas, womit man als „fahrender Künstler“ leben muss. Otto gelingt es, mein krümelndes Selbstbewusstsein wieder aufzurichten und irgendwie rutscht das Gespräch in eine tiefsinnige Diskussion über die Esoterik - und den schottischen Sänger Eric Bogle[1]. „Kennst du ‚No Man’s Land‘?“ fragt Otto und greift auch schon zur Gitarre. Natürlich kenne ich dieses tolle Lied, über den jungen Gefreiten Willie McBride, dessen Grabstein der Sänger auf einem Soldatenfriedhof in Flandern entdeckt.  Das Lied hat mich immer berührt, vielleicht weil auch mein Opa im Ersten Weltkrieg hatte kämpfen müssen, und er immer  durchblicken ließ, wie sinnlos der Krieg sei. „Glaubtet ihr wirklich, dieser Krieg würde das Ende aller Kriege sein“, fragt Eric Bogle im Song. „Denn das Leiden, der Schmerz, der Ruhm, die Scham, das Morden, das Sterben ... geschah alles für nichts und wieder nichts.“  Die Kriege haben nicht aufgehört.  Otto singt mir seine Version des Liedes mit einem Text im ostfriesischen Platt, den ein Freund gemacht hat, vor ... und eine Gänsehaut läuft mir den Rücken herunter.


[1]  Green Fields of France (No Man’s Land): Eric Bogle
  
Nun, die Fahrt nach Oldenburg war schon organisiert, also unternehme ich sie trotzdem. Genieße einen Bummel durch das hübsche Städtchen und treffe mich mit meiner Verlegerin und ihrem Team.
Am Morgen wanderte ich über den Findorfer Wochenmarkt. All das herrlich frische Gemüse, die reichhaltigen Käsesorten, das knusprige Brot – am liebsten würde ich meine Taschen mit Frischem füllen. Leider bin ich nur zu Besuch, habe keine Küche, keine Gelegenheit zu kochen ... auch etwas, was die Autorin auf Reiesen zu vermissen beginnt. Die ganz mondänen Aufgaben, wie Einkaufen, Essen kochen, am Abend nach getaner Arbeit in alten Klamotten rumlümmeln ... Anderseits werde ich immer wieder so lecker bekocht! Wie bei Otto und Claudia, die knackfrischen Spargel, am Morgen frisch gestochen, auf den Tisch bringen. Ich hatte ganz vergessen, dass in Deutschland der Mai die Spargelzeit markiert! Und nie kann man genug von diesem zarten Gemüse bekommen: Ich esse es in Mainz, in St Augustin, in Kiel, in Bremen ... Claudia verrät mir ihr Rezept und erklärt mir, wie man aus dem Spargelsud noch ein ausgezeichnetes Süppchen kocht. Schade, dass es in Australien fast nur den grünen Spargel gibt. 

Bremen – Bremerhaven - Oldenburg – Vegesack

23. bis 27. Mai 2011

Bremerhaven 24.5.
Am Sonntagabend fahre ich mit Otto Groote zurück nach Bremen. Noch etwas, woran ich mich gewöhnen muss: Abrupte Abschiede folgen wenigen Tagen des intensiven Beisammenseins, des Zusammen-Schaffens, des Zusammen-etwas-Erreichens. Kaum fühle ich mich wohl, bin wohlversorgt, lerne neue Gegenden und Landstriche kennen – und muss weiter. Ich fühle mich von einer Woge aufgehoben und mitgerissen – mal schaukel ich sanft in einem Wellental, dann werde ich wieder hochgespült. Meine neuen Gastgeber, Claudia und Otto, leben in einem Bunker, den sie mit viel Phantasie und Liebe ausgebaut haben. In die meterdicken Betonwände haben sie Fensterfronten geschlagen, die dieDeutsches Auswandererhaus Sicht auf einen herrlichen Kanal freigeben. Und: „Ich hatte des Nachts einen Herrn zu Besuch“, kann ich meinen Freunden am nächsten Morgen mitteilen! Der Kater Harry hat die Nacht schnurrend und sich an mich kuschelnd auf meinem Bett verbracht! Ich fühlte mich fast wie zu Hause! Dann geht’s erstmal Brötchen holen – auch so etwas herrlich Deutsches! Wie oft habe ich als Kind diesen Gang getan. Die warme Geschäftigkeit, die trotz der frühen Stunde in der Bäckerei herschte, dieser wunderbare, einmalige Geruch nach frisch gebackenen Brötchen ... nie schmecken die Brötchen in Australien so gut wie die Deutschen. Das Mehl in Australien ist anders, vielleicht auch die Backweise. Jedenfalls erreichen sie nie  diese Mischung aus innen luftig, außen krosch, die den deutschen Bäckern gelingt.   
Später am Morgen werde ich abgeholt – mein Cousin Hans und seine Frau Silvia holen mich ab zu einer Resie in die Vergangenheit der etwas anderen Art: Nach Bremerhaven. Hier habe ich 1972 Deutschland verlassen! Ganz in der Nähe des Auswanderermuseums liegt der Kai, an dem damals die TSS Fairstar der Sitmar Linie vertäut war. Ich erinnere mich, wie ich damals hoch über dem Kai auf dem Deck stand, während unten Onkel Gerhard und Tante Rosel, mein Cousin Hans und meine Cousinen Silke und Regina winkten und winkten. Zum Schluss, als das Schiff sich langsam entfernte, mit einem Bettuch. „Wir haben alle geweint“, erinnert Silke sich. Ich war wie betäubt.
Im Auswanderermuseum kann man nacherleben, wie Generationen von Auswanderern den Abschied und die Reise in die neue Welt erlebt haben. Mit Liebe zum Detail und größter Sorgfalt haben die Angestellten des Museums Fakten, Erinnerungen und Zeugenberichte gesammelt, die die Stadien der Ausreise lebhaft nachempfinden. Ein berührender Besuch.

Wegen meinem Onkel, Gerhard Bohde, wählte ich, als ich einen Verlag suchte, den Schardt Verlag in Oldenburg aus. Onkel Gerhard, der auch auf Föhr geboren wurde, hatte sich als niederdeutscher Dramaturg und Lyriker einen Namen gemacht, und sich in Benthulen, in der Nähe von Oldenburg niedergelassen. Vielleicht dient mir das als gutes Omen, dachte ich mir – und tatsächlich, der Schardt Verlag akzeptierte mich!

Mehr Ostfriesland, mehr Musik und Uplengen



22. Mai 2011
Am Samstagabend habe ich noch lange mit Matthias Malcher und Ralf Strotman
zusammengesesssen – in der gemütlichen Küche unserer Ferienwohnung in Münkeboe. Nach Konzert oder Lesung muss man immer erstmal „runterfahren“ – wir sprechen über Musik und Bücher. Langsam tauen Matthias und Ralf auf, sie fangen an, zu witzeln – und das ist, als ob sie sich Tennisbälle zuspielen. Geschickt pfeffern sie Floskeln übers unsichtbare Netz, parieren, lassen keinen Spruch unbeantwortet ins Aus dröseln. Ich höre zu, und wundere mich nicht mehr, dass diese Band, das Otto Groote Ensemble, so gut zusammenspielt – sie fangen Stimmungen auf und ein, reagieren mit Gefühl und Verstand. Noch beim Einschlafen schmunzel ich.
Direkt nebenan von unserer Unterkunft ist das „Doerpmuseum“[1], in dem der Besucher am Leben in der früheren Zeit teilnehmen kann. Leider reicht mir nicht die Zeit zu einem Besuch, obwohl die alten Häuser, und das Versprechen, Handwerker bei der Arbeit zu beobachten, sehr reizt. Diesmal muss ich mich mit einem Bummel durch das Dorf, vorbei am Krog und an der obligatorischen Mühle, zufriedengeben. Aber ich meine immer, wenn man etwas nicht geschafft hat, ist das ein guter Grund, an den Ort zurückzukehren!
An diesem Sonntagmorgen holen Margritt und Herbert, meine aufmerksamen Gastgeber, mich wieder zum Frühstück ab. Drinnen diesmal, weil die Sonne sich etwas scheu zeigt. Und wieder kommen wir beim Erzählen von eins ins andere, sitzen lang und länger. Ich wundere mich: Hier sitze ich, die ich oft monatelang Tag für Tag in meinem Studio verbringe, selten mal herauskomme, in meinem Kopf Dialoge mit meinen Romancharakteren oder mit meinen Erzählern spinne, und unterhalte ich mich dauernd – mit Lebenden! Die Geschichten und Erfahrungen, die ich höre, fordern mich heraus, zu fragen, mitzusprechen, Beispiele aus meinem eigenen Umfeld auszutauschen. Ich genieße es auch, die deutsche Sprache in ihrer Vielfalt zu vernehmen, merke, wie sehr ich es in Australien vermisse, diese ganz normalen und doch tiefsinnigen Gespräche zu führen. Es ist selten, dass ich mich so unbekümmert mit anderen Deutschen unterhalte – ohne dass man sich seiner englischsprechenenden Umgebung bewusst ist. Am Nachmittag haben Margritt und ich Zeit zu einem Besuch in einem hübschen ostfriesischen Café, in dem ich eine ostfriesische Spezialität probiere: Buchweizenpfannkuchen, oder: Bookweitenschubbers. Mmmh – es schmeckt herbe, sehr nach Vollwert, was aber nichts mit Mode zu tun hat, so lese ich, sondern damit, dass Buchweizen in der Hochmoorgegend Ostfrieslands fast die einzige Kulturpflanze war, die dort wuchs[2]. Jedenfalls ist es ein ausgezeichnetes Gericht für jemanden, der den Zucker meiden muss.
Am Abend treffen wir Otto, Matthias und Ralf im Kulturverein Uplengen. Matthias und Ralf sind tagsüber mal kurz über die Grenze nach Holland gefahren, um ihrer zweiten Lust – dem Bluegrass[3] (einer besonderen Art der Country Musik) – zu frönen. Aber nun stimmen sie sich schnell wieder um und legen mit Otto ein Konzert mitreißender Schönheit hin. Otto stellt auch einige der Lieder vor, die auf der neuen CD zu hören sein werden. In den Auswandererliedern, speziell für ein Theaterstück geschrieben und auf hochdeutsch, gelingt es ihnen, genau die Emotionen einzufangen und die Stimmungen wiederzugeben, die der Auswanderer durchmacht: Hoffnung, Aufregung, Furcht, Unsicherheit, Heimweh und Sehnsucht.  
Ich lese diesmal aus „Am Galliberg“[4] – und ganz spontan, weil von einem von Ottos neuer Lieder inspiriert, lese ich auch das Ende der Geschichte vor. Dieser Abend ist ja genau wie dieses vierte Buch in der Familiensaga, ein Abschied – von Ostfriesland, von den musikalischen Lesungen, und von der Romanfamilie Petersen. Es ist wieder ein toller Abend – wenn auch das Publikum mich überrascht. Es ist viel distanzierter, viel schwerer zu erreichen und einzuschätzen. Es dauert sehr lange, bis sie sich genügend entspannen, um uns ihre Reaktionen zu Musik und Gehörtem spüren zu lassen. Bei mir, und vielleicht auch bei den Musikern, bedeutet das, das ich noch mehr geben muss, mich noch mehr verausgabe. Ich will sie überzeugen, will sie mitreißen, will sie verführen. Ich bin mir nicht sicher, dass es gelingt. Der Buchverkauf nach der Veranstaltung ist eher träge ...  
Noch am selben Abend veabschiede ich mich von meiner Freundin Margritt Kubick-Harms. Wie lange wird es dauern, bis wir uns wieder sehen? Mit Otto fahre ich zurück nach Bremen und wieder beginnt eine neue Etappe meiner Reise ...


Mittwoch, 22. Juni 2011

Zeugen der Vergangenheit


An meinem letzten Tag in Ostfriesland  führt meine Gastgeberin, Margritt Kubik-
Harms. mich auf eine Reise in die Vergangenheit, die ich ja auch in meinen Büchern immer
wieder antrete. Wir beginnen schräg gegenüber vom Gulfhof Ihnen in Engerhafe –
mit der evangelisch-lutherischen Kirche „Johannes der Täufer“. Viele Kirchen habe ich
auf meiner Reise durch Deutschland schon sehen und bewundern dürfen, wie zum
Beispiel den Dom zu Mainz und die St Stephans Kirche mit den blauen Fenster Marc
Chagalls. Die bedeutende gotische Stiftskirche St Peter in Bad Wimpfen. Oder kleine
Kirchlein, die hoch auf Felsen am Rhein klebten, deren Zwiebeltürmchen einst tapfer
 Angreifern die Stirn boten. Jedoch passen für mich die strengen Kirchen
Norddeutschlands in mein Lebensbild. In so einer Kirche, die mit ihrem Schiffsmast-
ähnlichen Turm auf den Stürmen des Lebens schaukelt, bin ich getauft und  konfirmiert
worden. Ich mag den roten Backstein, der nur durch die bunten Fenster unterbrochen
wird, liebe das klare Innere, die fast schmucklose Kargheit. Aber nicht nur, um mir diese
Kirche zu zeigen, hat Margritt mich hierher gebracht. Auf einem Spaziergang über den
Friedhof führt sie mich auch zu den 188 Gräbern, die die Opfer des Lagers Engerhafe
bergen. Sie waren politische Gefangene aus verschiedenen Teilen Europas und
Deutschlands, die ins Lager Engerhafe gebracht worden waren, um um Aurich einen
 Panzergraben zu errichten. Die, die an Hunger, Kälte, der schweren  Arbeit und den
 entsetzlichen Bedingungen starben, wurden in einer Grube, die zu einem  Massengrab
wurde, verscharrt. 1952 wurde das Massengrab geöffnet, um den Ermordeten ein
würdiges Begräbnis zu beereiten. Der Verein Gedenkstätte KZ Engerhafe * sammelt die
Erinnerungen der überlebenden Opfer – auch derer, die damals  hilflos mit ansehen
mussten, was da auf dem von der NS beschlagnahmten Land geschah. Kirchenland war
das, der Garten der Pastorei. Land, das direkt an den Schulhof grenzte. Im historischen
Pfarrhaus Engerhafes, das 1944 sogar die Kommandantur des KZs Engerhafe stellen
musste, befindet sich eine beeindruckende Ausstellung. Bilder des Auricher Lehrers
Herbert Müller, die das Leben im KZ wiedergeben. Bilder, die anklagen, die aufrufen, die
erinnern und uns nachdenken lassen. **
Und ich bin aufgerührt von dem Mut der Menschen, die die Vergangenheit nicht länger
totschweigen, sondern wieder auferleben lassen.
Mit den folgenden Worten eröffnet Pastor Diekmann die Gedenkveranstaltung „Das
Fenster öffnen“ am 23.10.2010:    
„Wenn wir hier sitzen, dann schauen wir auf den wunderbaren Altar und dort auf das Bild
des leidenden Christus. Wir können es aushalten, auf dieses Leid zu schauen. Und
deshalb können wir es auch aushalten, uns das Leid derer zu vergegenwärtigen, die
damals hier im Lager gelebt haben und gestorben sind. Wir können es auch deswegen
aushalten, weil das Leid Jesu eine Perspektive hatte, nämlich die Versöhnung und das
 Leben. Die Auferstehung, die Sie ganz oben auf dem Altar dargestellt sehen.
Versöhnung und Leben – darin sehe ich auch eine Perspektive für diese
Erinnerungsarbeit. Versöhnung, das ist ein großes Wort und eine große Sache. Ich
glaube, Versöhnung ist ein Geschenk Gottes. Meine Hoffnung ist, dass hier in Engerhafe
Versöhnung geschehen wird, in der Begegnung zwischen Menschen, vielleicht sogar eine
Versöhnung mit der Tatsache, dass es dieses Lager in Engerhafe gegeben hat, dass
Menschen Zeugen geworden sind und wir deswegen die Aufgabe haben, an das
Geschehene zu erinnern. Erinnern heißt Leben, heißt, dass wir die Namen der Toten, das
 Schicksal der Menschen nicht vergessen, sondern ein Stück ins Leben zurückholen. Und
deswegen finde ich es gut, dass wir uns hier in der Kirche treffen, die mitten im Leben
 steht, und ich halte es für gut und richtig, wenn wir in einigen Jahren der
Gedenkstätte in unserem Historischen Pfarrhaus Raum geben können, das dann ein
Gemeindehaus sein wird ...“

**Carl Osterwald, Die Katastrophe „Du kannst nichts machen“, Herausgeber: Verein Gedenkstätte KZ Engerhafe  E.V.


Loblied auf eine deutsche Institution


Was können die Deutschen am besten – neben Autos bauen; Waschmaschinen herstellen,
die wirklich waschen können; ewig die deutsche Vergangenheit erörtern und
am Sonntagnachmittag sich in Kaffee und Kuchenorgien verlieren? Sie können einen
Frühstückstisch decken, wie kein anderer! Da fehlt es an nichts: Brötchen und eine
Auswahl an Brotsorten sind umrahmt von Köstlichkeiten der herzhaften sowie der süßen
Art. Immer wieder schwärme ich meinen australischen Deutschlernern davon vor:
Verschiedene Käse- und Aufschnittsorten zähle ich ihnen auf, erwähne Marmelade und
Honig, das Müsli, den Joghurt, das Obst ... und sehe ihren ungläubigen Augen an, dass
sie an meinem Verstand zweifeln. Gibt es wirklich Menschen, die zum Frühstück
Fleischsalat verzehren? Und gekochte Eier? Eierbecher müssten in den meisten australischen
Haushalten sicher erstmal abgestaubt werden, wenn sie sich dann schon finden
ließen. Hier isst man Spiegeleier und Speck. Und Eierlöffel? Was sind denn das? Und wo
ist das Toast, fragen meine Australier triumphierend, die einzige Lücke in meiner
Ausfzählung bemerkend. Wer braucht Toast, wenn es so leckeres Brot gibt, kontere ich.
Dabei ist  es mit den Lebensmitteln doch nicht abgetan, das deutsche Frühstück zu
beschreiben – die liebevolle Art den Tisch zu decken, das passende Geschirr, die Blumen
oder die jahreszeitlich angepasste Dekoration auf dem Tisch  ... und in Ostfriesland die großen Kannen Tee, 
die zwei-, dreimal erfrischt  werden, während das Frühstück sich ausdehnt, es über Gespräch und Geklöne 
fast Mittag wird. Strahlt die Sonne, verlagert sich der Frühstückstisch auf die Terrasse, den
Balkon oder den Garten – wie immer, wenn in Deutschland die Sonne scheint, nutzen die
Deutschen  das aus – auch beim Frühstück. 

Gulfhof Ihnen, Engerhafe

21. Mai 2011  

Einst war da eine Frau, die hieß Alma Ihnen. Die lebte in einem Gulfhof in Engerhafe,
Ostfriesland. Gulfhöfe sind typisch für diesen Teil Ostfrieslands. Der Außenbau
unterscheidet sich vom niedersächsischen Fachwerkhaus durch seine schmucklosen
Mauerwände und Giebel. Bis zu 10 m lange Pfähle mussten in den Boden gerammt
werden, um das Gebäude in der tragenden festen Sandschicht sicher zu verankern. Das
Vorderhaus wurde in der Regel bis zur Erdgeschoßdecke aufgemauert, der obere Teil des
Daches wurde in Reet gedeckt. Wohn- und Wirtschaftsteil schließen aneinander an,
getrennt nur durch eine Brandmauer. Die besondere Bauweise, die aus ‚Ständern’ und
 Quer- und Längsbalken besteht, die Raum (‚Gulf’) zwischen vier Ständern schafft, gibt
dem ‚Gulfhaus’ seinen Namen.
Der Gulfhof Ihnen wurde erstmalig im Jahre 1547 erwähnt. Er gehört zu den ältesten Hofstellen im Ort. Alma Ihnen, die letzte Besitzerin, übergab den Hof 1991 an die Gemeinde Südbrookmerland. Er sollte zu einer Begegnungsstätte werden, in der ostfriesisches Brauchtum zuhause ist. Alma Ihnen wollte die Kultur in der Gemeinde fördern. Im Gulfhof sollten z. B. örtliche Theatergruppen, Chöre und Freizeitkünstler eine Heimat finden. Regelmäßig finden jetzt Theateraufführungen, Lesungen, Ausstellungen und Folk-Konzerte usw. statt, ein besonderer Schwerpunkt ist die Pflege der plattdeutschen Sprache.
Margritt Kubik-Harms ist die erste Vorsitzende und Veranstaltungsorganisatorin des Vereins Gulfhof Ihnen, und sie stellt unermüdlich ganz tolle Programme zusammen – auch Otto Groote, Ralf Strotmann und Matthias Malcher (das Otto Groote Ensemble) und Freunde treten regelmäßig dort auf. Und nun darf ich an einem ihrer Abende teilnehmen! Schon am Tag zuvor hat Margritt mir den Gulfhof vorgestellt. In dem größten Raum des Hofes, dem Gulf, befindet sich eine Bühne. In gemütlich schummriger Dunkelheit stehen lange Tische zwischen den riesigen, alten Pfählen. Festlich geschmückt erwarten sie des Abends Publikum, das dann auch pünktlich eintrifft. Viele kennen sich von vorherigen Konzerte, einige Fans reisen von weither an, lassen keins der Otto Groote Konzerte aus. Kein Wunder, denn die Musik feuert ein, nimmt einen mit auf Traumreisen, die teils wie in De anner Steerns an d‘ Heven in die Ferne führen (De Bulgen ropen luud mien Namen, Ik sall noch eenmal mit hör komen. Dat Lengen treckt mi rut ud d‘ See – Die Wellen rufen laut meinen Namen...), teils wie in Heven is för de Engels das Los der „Moorhantjes“ beschreibt, der Moorarbeiter, zu denen noch Ottos Großvater, sein Vater und dessen Brüder gehörten. Oder es kommt so etwas Aktuelles wie Dat Blockhuus, welches das Gefängnis beschreibt, das die Veteranen des Koreanischen Krieges (und später des Vietnam-, des Golf- und neuerdings des Irak- und Afghanischen Krieges) in ihrem Kopf mit sich führen. Das Publikum kennt die Lieder, es schaukelt sanft im Takt, summt leise mit oder fällt, als Otto uns einlädt, leicht in den Refrain ein: Laat mi hörn de Musik ...
Fast finde ich es zu schade, die Jungs zu unterbrechen, als ich dran bin und lesen muss. Aber wieder fügen meine Texte sich wunderbar in den Rahmen der Musik ein – heute lese ich aus Die Frau des Marschbauern, dieser bitter-süßen Liebesgeschichte um die verschwundene Bäuerin, Amalie Brodersen. Sogar die Gegend, in der wir uns befinden, spielt eine kleine Rolle im Buch, und das Fernweh und die Sehnsucht nach der Heimat ...    
Noch nie habe ich in so einem Rahmen gelesen. Ich werde mitgerissen - vom Eifer des
Publikums, von der Hingabe, mit der Otto, Matthias und Ralf Stimme und Instrumente
herausfordern, mich einschließen, teilhaben lassen. Und ich gebe mich einfach der Freude
hin, die dieser Abend auslöst, den ich sooft versucht habe, mir vorzustellen, wenn ich den
 CDs zuhörte, und mir überlegte, wie wird es wohl sein, die Drei live zu hören ...
Erst nach großzügigen Zugaben der Band räumt das Publikum den Saal. Und alle die, die
mitgewirkt haben, lassen sich nieder zu einem Festmahl, das Margritt vorbereitet hat.
Eine typische ostfriesische Mahlzeit: Snirtjebaten. Schweinefleisch mit Piment geschmort
und serviert mit Rotkohl, Rote Beete und Kürbis. Der Appetit wird dem köstlichen Essen
gerecht.

 Otto Groote Ensemble: „In’t blaue Lücht van d‘ Nörden“; „De Tied steiht
 still“ und „De anner Steerns an d‘ Heven“:   Otto Groote Ensemble


Dienstag, 21. Juni 2011

Musikalische Lesung in Wittmund

20. Mai 2011

Wie lernte ich Otto Groote kennen? Ganz einfach: Ich suchte nach plattdeutscher Musik,
um eine Lesung meines Buches Die Frau des Marschbauern zu untermalen. Kurz zuvor
war mir bei einer Lesung die Stimme ausgeblieben, und ich gedachte, in kurzen Päuschen
ein paar Takte passender Musik anzuspielen. Also googelte ich und fand auch reichlich
Einträge unter „Musik, plattdeutsch“. Das Meiste war eher unpassend: La Paloma und
Nordseewellen. Oder zu rockig. Plötzlich klickte ich auf das Otto Groote Ensemble.
Und war verzaubert. Ich sandte eine e-mail an Otto. Der war so erstaunt, dass jemand aus
Australien sich meldete, dass er mir umwendend zwei CDs zum Geschenk machte. Ich
revanchierte mich mit der Frau des Marschbauern ... and the rest is history. Eine
Brieffreundschaft entwickelte sich, Otto hatte die Idee: „Wir machen was
Gemeinsames!“ Margritt Kubik-Harms, die Innovatorin und Organisatorin extra-
ordinaire wurde eingespannt, und an einem blauen Frühlingtag etwa um halb sechs trafen
wir uns zum ersten Mal vor den Türen der Thalia Buchhandlung in Wittmund – Otto
mit seiner Gitarre, ich mit meinem Manuskript..  
Frau Beuthner und ihr Team hatten sich selbst übertroffen sich selbst. Oben auf der
Galerie der Buchhandlung hatten sie eine ansprechende „Musikalische Lesebühne“
arrangiert. Später, als ich in kalten Hallen las, an Tischen, die nicht mal mit einem Tuch
bedeckt waren, geschweige denn von Leselampen oder Blumen geschmückt waren,
erinnerte ich mich oft wehmütig an das liebevolle Arrangement Frau Beuthners. An
diesem Abend, zum ostfriesischen Auftakt, las ich aus Die Stimmen der Villa Blanke
Hans. Und ohne das wir uns abgesprochen hatten, ohne Probe, begleitete Otto Groote die
Lesung. „Ich sing ein Lied zum Einklang“, sagte er, „dann liest du, und wenn du eine
Pause machen möchtest, gibst du mir nur ein Zeichen.“ Mit Feinfühligkeit, und sich ganz
 und gar auf seine Intuition verlassend, sang er dann im richtigen Moment genau das
richtige Lied. Immer wieder fingen seine Töne, der Klang seiner Gitarre, der Text seiner
 Lieder, die Gefühle und die Atmosphäre auf, die ich mit meiner Geschichte um die
Suche nach einer verschollenen Mutter hatte vermitteln wollen. Und als meine
Romanfigur, die ehemalige Internatsleiterin Frau Siegesdorf, sich einmal recht
herablassend über die Männer äußert, schmettert Otto Groote seine Version des Liedes
Amsterdam (orig. von Jacques Brel) heraus! Herrlich! Das Publikum, das die Galerie
leicht füllt, ist genauso begeistert wie ich.



Von Kiel nach Ostfriesland

20. bis 22. Mai 2011

Ausgerüstet mit einem neuen Koffer, der Alte hat auf der Fahrt von Oldenburg nach Kiel ein Bein, äh, ein Rollrad, verloren, ist die Autorin auf Reisen für alles bereit. Ich empfehle allen, die sich auf Reisen begeben, besonders denen, die öfter aus Zügen bzw Flügen ein- und aussteigen und von Bahnsteig zu Bahnsteig, Unterkunft zu Unterkunft rollen müssen, einen Koffer mit vier Rädern. Sie lassen sich viel besser manövrieren, als die, die man ziehen muss! Außerdem ist dieser neue Koffer mit einem raffinierten Reißverschluss ausgestattet, der dem Reisenden bei Bedarf etwa 5cm extra Packraum erlaubt. Genial für jemanden, der für sechs Wochen Lesereise immerhin mehrere, verschiedene Outfits mit sich tragen muss.

Ostfriesland ist im Westen von der Nordsee begrenzt und stößt im Süden an die holländische Grenze. Im Norden reicht es nicht ganz bis an die Weser, und im Osten bis an den Landkreis Emsland. Ostfriesland ist Nordfriesland nicht unähnlich – das Land ist herrlich flach, man kann von Horizont zu Horizont schauen, ohne das Maulwurfhügel oder  sonstiges Gebirgiges den Blick versperren. Sorry, meine südlichen Freunde: Ich schau mir eure Hügelketten und Gebirgszüge gern einmal an. Sie sind imposant und durchaus erhebend – aber meine Seele verlockt, wenn das Land sich weit und ebenerdig vor mir erstreckt. Der Himmel erhebt sich blau und weit über den grünen Marschen, die von unzähligen Kanälen durchzogen und von Windmühlen besät sind. Die Orte tragen Namen wie Südbrookmerland, Westoverledingen, Ostrhanderfehn, Neuharingersiel ...
Hier wird das Ostfriesische Platt gesprochen, das in meinen Ohren weicher, fließender klingt als das Platt, mit dem ich aufgewachsen bin. Fast könnte man meinen, man höre niederländisch. Es eignet sich herrlich zu melancholisch angehauchten Chansons – wie das Otto Groote Ensemble sie vorträgt. „Ik bün tohuus in‘t blaue Lücht van d‘ Nörden“, singt Otto Groote und erweckt in mir die Sehnsucht nach meiner Heimat. Als ich in Emden aussteige, bestätigen sich seine Worte. Viel mehr Zeit bräuchte man, um sich diese hübsche Gegend wirklich anzuschauen – ich habe knapp drei Tage. Aber Margritt Kubik-Harms, meine Gastgeberin, die zusammen mit Otto Groote meinen ostfriesischen Aufenthalt geplant hat, gelingt es trotzdem, mir die Besonderheiten dieses Landstriches vorzustellen. Und seltsam, obwohl ich doch auf einer Insel aufgewachsen bin, die von der Landwirtschaft geprägt ist, hatte ich mir nie die Mühe gegeben, Kühe kennenzulernen. Das hole ich nun nach, denn Margritt und Herberts Grundstück grenzt an eine Weide, auf der sich schwarz-weiße Kühe tummeln (keine Ähnlichkeit besteht zwischen dem Gastgeber und dem Kater meiner Familiengeschichte, obwohl sie beide den schönen Namen Herbert tragen). Früh am Morgen ist das Vieh voller Lebenslust! Ähnlich unserer Hunde, die zu ihrem morgendlichen Lauf entlassen werden, rennen die Kühe über die Weide und jagen einander in fröhlichem Spiel. Genau wie unser Pudel Otto seinen großen Bruder nach dem Aufwachen mit Nasestubben und Küsschen begrüßt, reibt eine Kuh der Anderen zärtlich die Wange. Meine Gastgeber erzählen mir, wenn ihre Kinder im Garten Tischtennis spielen, versammeln sich die Kühe am Zaun und verfolgen das Spiel so interessiert, wie das Publikum des Australian Opens. Also wundert Euch nicht, sollte demnächst eine Kuh eine entscheidende Rolle in einem meiner Romane spielen.
Und es stimmt: Tee wird in Ostfriesland in Massen getrunken. Keine Gelegenheit wird ausgelassen, um einen großen Topf wohlschmeckenden Tees aufzugießen, der natürlich mit Klüntjes (Kandis) und Sahne genossen wird. Ich fröne meiner Teelust mit unzähligen Tassen – muss nur zum Ausgleich manchmal um eine Tasse Kaffee bitten.

Montag, 6. Juni 2011

„Am Galliberg“ im Schützenhof in Preetz

19. Mai 2011

Zum ersten Mal stelle ich das neue Buch vorwie wird das Publikum reagieren? Im Schützenhof in Preetz findet die Lesung statt, organisiert von der Buchhandlung Am Markt, und den Besitzern Herrn und Frau Kohl. Die Beiden kennen ihr Handwerk: Die Lesung ist wunderbar organisiert, die Gäste werden herzlich willkommen geheißen und Herr Kohl kennt fast alle persönlich. Die langen Tische sind hübsch dekoriert, die Gelegenheit sich etwas Leckeres zu Essen oder Trinken zu bestellen besteht (sehr zu empfehlen sind die Tappas!).
Ich lese hinter einem Rednerpult – was mir ein wenig zu offiziell dünkt. Auch etwas, was die Autorin auf Reisen lernen muss: Sich durchzusetzen, wenn ihr etwas nicht so gelungen scheint. Leider gibt es auch ein Problem mit dem Mikrofon, das den Ton uneben wiedergibt. Ein Mikrophon ist so eine Sache: Einerseits schont es die Stimme der Leserin, andererseits verfälscht es den Klang ... manchmal ist es besser, die eigene Stimme zu projizieren (etwas, was man mit ein wenig Übung gut lernen kann), lauwarmes Wasser zur Hand zu haben (kaltes trocknet die Stimmbänder aus), sich nicht zu scheuen, regelmäßig kleine Pausen zu machen und ein Schlückchen zu trinken und: Immer einen Salbeibonbon zur Hand zu haben!
Aber trotz der minderen technischen und redner-pultischen Probleme, geht das Publikum von fast fünfzig Leuten gut mit. Sie lachen, seufzen und halten den Atem an den richtigen Stellen an! Und sie kaufen reichlich Bücher, die ich ihnen signieren darf!
Auf dem Nachhauseweg lasse ich die zufriedenen Gesichter meiner Zuhörer an meinem geistigen Auge vorbeiziehen – es ist ein schönes Gefühl anderen Leuten Freude zu machen – und versuche, die etwas überheblichen Kommentare des Buchhändlers, der sich nicht verkneifen konnte, mir zu sagen, mein Problem sei, dass ich eine unbekannte Autorin bin, zu vergessen. Wem sagt er das – weshalb sonst habe ich mich für sechs Wochen vom heimischen Herd getrennt, um nach Deutschland zu fahren? Warum sonst habe ich von Januar bis Anfang Mai 2011 nichts anderes getan, als die Lesereise vorzubereiten?
Die Autorinnenseele ist ein zartes Ding, bitte bedenkt das, liebe Damen- und Herrenveranstalter! Kritik löst blaue Flecken aus, die nur langsam verbleichen!

Am nächsten Morgen ist es wieder einmal Zeit aufzubrechen – die nächste Etappe der Lesereise trägt mich ins schöne Ostfriesland!

Die jüngsten Zuhörer - Die Schule am Sonderburger Platz, Kiel

   16.Mai 2011-06-02

Ich bin eingeladen worden, den Schülern der Schule am Sonderburger Platz in Kiel.etwas
über Australien zu erzählen.Wie fröhlich ist das bunte Treiben auf dem Schulhof.
Anstatt des eintönigen Bildes, das sich dem Betrachter in Australien bietet, wo alle
Kinder in den gleichen Schuluniformen stecken, wirbeln hier bunte Anoraks,
farbigeT-shirts und knallige Schulranzen durcheinander. Das rote Schulgebäude ähnelt
dem, in dem ich 1959 eingeschult wurde. Es riecht auch genauso nach Bohnerwachs
und Schulbüchern und Kindern ... Über den Morgen hinweg besuche ich
vier verschiedene Klassen. Die Kinder horchen aufmerksam auf, wenn die Lehrerin ihnen
erzählt, dass ich von weit, weit herkomme. Amerika? raten sie. Schweden? „Australien!“
ruft ein ganz Schlauer, der das schon auf dem Schulhof gehört hat. Sie sind sehr
interessiert. Wir überlegen, wie lange es denn wohl dauert, von Australien nach Deutschland zu fliegen (24 Stunden); ob da auch Tag ist, wenn hier Tag ist (nein) und fragen, was für Tiere es denn dort gibt und welche Sprache man denn dort spricht.. Einige Kinder sind auch schon ins Ausland gereist, oder kommen gar selbst aus dem Ausland. Ich merke, sogar kleine Kinder empfinden schon kulturelle Unterschiede.

Sonntag, 5. Juni 2011

Am Galliberg

Schwerer als bei den anderen Lesungen fiel es mir bei diesem Buch, die richtigen Stellen auszuwählen, die ich den Zuhörern darbiete. Nicht zu viel preisgeben will man, doch spannend soll es sein, einen roten Faden will man verfolgen und den Hörern einen Gesamteindruck vermitteln. Dazu muss ich den Titel erklären: Der „Galliberg“ ist ein vorgeschichtlicher Richt- und Rechtsprechungort der Osterlandföhrer, eben ein Galgenberg,  Er steht in Wyk neben dem dem Friesenmuseum. Der Galgenberg ist für mich ein Symbol. Vier Jahre hat der Leser das Schicksal der vier Schwestern und ihrer zwei Tanten verfolgen können, jetzt wird Bilanz gezogen. Und da es sich auch in diesem Buch wieder um ein altes Geheimnis dreht, geht es auch darum, Rechenschaft abzulegen.



An der Schwentine 

16. – 18. Mai 2011
Was ich am meisten in Australien vermisse, sind die herrlichen deutschen Mischwälder.
Meine nächste Station ist Kiel, genauer gesagt das Schwentinental. Herrlich kann man hier spazieren gehen, beschattet von hohen Buchen, alten Eichen, Ahorn und Birken ...
Vorbei an einer alten Wassermühle, Villen die von Jugenstil strotzen, stillen Gewässern und träge fließenden Bächen. Ich wohne bei meiner jüngsten Schwester, auf einem Hof, der fast an den Wald grenzt. Wenn man aus ihren Fenstern schaut, sieht man einen Apfelgarten. Schafe weiden unter den Bäumen und dienen als Rasenmäher. Aus einem anderen Fenster fällt der Blick auf ein blau-grünes Weizenfeld, das bis an den Wald reicht.
Montagmorgen fahre ich mit meiner Schwester und meinem Neffen Johannes zu seiner Schule. Aber nicht Unterricht steht heute an – Johannes fährt auf Klassenfahrt. Er ist in der vierten Klasse und sehr aufgeregt – es geht nach Westerheversand, berühmt für seinen schönen Leuchtturm. Um uns von der Aufregung der Abfahrt zu erholen, besuchen meine Schwester und ich die „Baumschulen“. Ein herrlicher Park mit einem schönen Restaurant.
Zwei Lesungen sind für den Schleswig-Holsteinischen Bereich geplant. Aber die Buchhändlerin in Leck sagt die Lesung ab, sie hat Angst, dass nicht genug Leute kommen. Später erzählt mir jemand, dass sie noch neu im Fach ist, und wohl etwas unsicher ... Auch etwas, was die Autorin verkraften muss. Enttäuschend ist es, das Selbstbewusstsein erleidet einen Schlag, aber man muss lernen, so etwas wegzustecken – und einen freien Tag zu genießen, wenn er sich anbietet. Mit einem Spaziergang an der schönen Schwentine und am Nachmittag einem Besuch in der Sauna fällt das nicht so schwer. Am Mittwoch tue ich dann etwas, wozu ich selten Zeit habe: Mit dem Bus fahre ich in die Stadt und bummel durch die Geschäfte. Ja, und kaufe mir ein neues Handy und einen Koffer, der statt auf zwei, auf vier Rädern rollt!

„Haus Olesen vor dem Friesenmuseum Wyk auf Föhr, 1927“

Bonn, 14. Mai 2011

Wenn ein Buch denn nun einmal fertig geschrieben ist, fängt man an, sich Gedanken über das Titelbild zu machen. „Am Galliberg“ verlangte nach etwas, was den Eindruck einer Inselgeschichte erweckte, und gleichzeitig auch eine Beziehung zum Galliberg, dem vorgeschichtlichen Galgenberg der Osterlandföhrer, aufweisen konnte. Nach längerem Suchen half uns die Kuratorin des Wyker Friesenmuseums, Frau Kollbaum-Weber, die uns auf ein schönes Gemälde des Landschaftsmalers Paul Lehmann-Brauns hinwies, welches im Friesenmuseum Wyks hängt (Öl auf Leinwand). Ich freue mich sehr, dass wir dieses schöne Gemälde fanden, und dass die Nachfahren des Künstlers uns die Erlaubnis erteilten, es als Titelbild zu benutzen. Ganz besonders schön war es, die Enkelin des Malers, Frau Elke Gennrich, kennenzulernen. Selbst Künstlerin, Kunsthistorikerin und Kunstvermittlerin z.B. am Kunst Museum Bonn, die auch und das Werkverzeichnis ihres Großvaters aufgestellt, und sein Leben in einer Biographie* dargestellt hat, zeichnete sie uns (meiner Cousine und mir) ein Bild des Malers, das ihn für uns lebendig machte. Und seltsame Parallelen ergaben sich zur Handlung des Buches. Wie auch ein Charakter des Buches lebte Lehmann-Brauns in Berlin, ähnlich meiner schattenhaften Figur reiste er jährlich (für dreißig Jahre) auf die Insel Föhr, um dort zu malen.
Wir beschließen unser gemütliches Teestündchen mit einem Bummel an den Rhein, da wo der Drachenfels am nördlichen Ende des Mittelrheins ** in die Höhe reicht.

* Elke Gennrich Der Landschaftsmaler Paul Lehmann-Brauns Biographie (1885-1970) und Werkverzeichnis der Gemälde, Verlag Boyens & Co, 2004
** Der Drachenfels



Sonntag: Von Bonn nach Wildershausen und Kiel

15. Mai 2011

Nach einem gemütlichen Sonntagsfrühstück auf dem Balkon meiner Cousine brechen wir auf: Silke und ich fahren nach Wildershausen, einer kleinen Ortschaft in der Nähe von Oldenburg (in Niedersachsen). Seit mein Onkel Gerhard vor einem Jahr starb, lebt meine Tante Rosel im Johanneum, einem sehr gepflegten Seniorenheim. Onkel Gerhard und seine Familie hatten Föhr verlassen, als ich noch ein Kind war. Schade, denn ich hatte sie gern besucht, bei ihnen war immer etwas los und meine Cousins, Hans und Silke, waren tolle Spielkameraden. Silke erfand die aufregendsten Spiele. Später kam noch ihre jüngste Schwester, Regina, dazu. Von da an besuchten Hans und Silke uns nur noch im Sommer, und von Onkel Gerhard und Tante Rosel hörten wir selten – bis auf einmal Onkel Gerhards erstes Theaterstück am Ohnsorg Theater in Hamburg aufgeführt wurde, und er sich als niederdeutscher Dichter, Dramaturg und Lyriker mit Stücken wie „Hallighexen“, „Smuggelbröders“ und „Rum ut Jamaica“ einen Namen machte. Auch Tante Rosel entpuppte sich als Künstlerin. Als Weberin und Malerin hielt sie viele schöne Ausstellungen ab. So schien es mir fast ein Omen, als der erste Verlag, den ich in Deutschland anschrieb, in Oldenburg situiert war! Der Verlag akzeptierte mein Buch, und ich begann, Tante Rosel und Onkel Gerhard in ihrem verwunschenen Garten in Benthulen zu besuchen. (In meinem Buch „Am Galliberg“ habe ich die Figur der Malerin Agnes Hetzlow und ihren Garten an Tante Rosel angelehnt.) Und in Wildershausen, einem hübschen Städtchen nicht weit von Oldenburg, besuchen wir also Silkes Mutter. Umgeben von ihren kraftvollen Bildern und einigen ihrer schönsten Antiquitäten hält sie auf ihrem Zimmer „Residenz“. Sogar ihr Spinett spielt sie für uns! Trotzdem fällt der Besuch kurz aus, Tante Rosel ermüdet schnell.
Silke fährt mich zum Oldenburger Bahnhof, so dass ich den Zug nach Bremen, Hamburg und Kiel nehmen kann. Nach dreimal umsteigen habe ich das Gefühl, mein Schultergelenk ist ausgekugelt – so schwer ist es, ständig den schweren Koffer zu entlangzuzerren. Zu allem Überfluss ist beim Ein- oder Aussteigen auch noch ein Rad abgebrochen. Dann hat der Zug in Hamburg Verspätung und auf der Strecke von Hamburg nach Kiel werden wir wegen Bauarbeiten aufgehalten ... Erst nach 22 Uhr treffe ich in Kiel ein. Meine jüngste Schwester erwartet mich schon ...