Mittwoch, 20. Juli 2011

Pelle Pellworm

Pellworm
Die drittgrößte der nordfriesischen Inseln liegt, genau wie meine Heimatinsel Föhr, im Schlewig-Holsteinischen Nationalpark Wattenmeer, also in der Nordsee. Etwa auf der Höhe Husums. Wenn man wie ich mit dem Zug von Hamburg kommt, steigt man in Husum in einen Bus um. Dieser trägt einen über die Insel Nordstrand bis zum Fähranleger Strucklahnungshörn. Die Insel Nordstrand, die dem Festland vorgelagert ist, ist dem auch durch einen Damm verbunden. Es ist nicht ganz so einfach für den Laien zu erkennen, wann genau man das Festland verlassen, den Damm überquert und Nordstrand erreicht hat, denn inzwischen ist um den Damm herum soviel Land gewonnen worden, dass Nordstrand fast wie eine Halbinsel mit dem Festland verbunden ist. Fast. Strucklahnungshörn ist einfacher zu erkennen, dort ist nämlich der Fähranleger, der die Gäste und Besucher (und Einheimische, die nach Hause wollen), zur Insel Pellworm schippert. Immer wieder staune ich, dass jede der fünf nordfriesischen Inseln so anders ist. Pellworm ist auf den ersten Blick eine grüne Insel. Die Häuser wirken wie Spielzeughäuschen, unwillkürlich ins Grüne verteilt. Hier gibt es keinen Sandstrand, ein 8 Meter hoher, 25km langer Deich umrandet die marschige Insel, auf der wenige Bäume wachsen. So oft ist die Insel von Sturmfluten heimgesucht worden, dass viele der Häuser statt auf Warften (aufgeworfenen Erdhügeln) wie auf den Halligen, auf Deichen stehen. So dass sie sich, statt mit einem Vorgarten, mit einem Garten zur Linken und Rechten des Hauses zu präsentieren scheinen. Spannend ist die Vorgeschichte Pellworms: Einst gehörte Pellworm zu der großen Insel Strand (von der auch Nordstrand ein Teil war). Wie auch Föhr wurde Strand zwischen den Jahren 800 und 1000 von Friesen, die aus der Rheinmündung kamen, besiedelt. Nicht weit entfernt lag die sagenumwobene Insel Rungholt, die in der Großen Mandränke von 1362 vollständig versank. 1436 trennte die Allerheiligenflut Pellworm erstmalig von Strand, 1634 tat die Burchardiflut ein Letztes, große Teil von der Insel Strand gingen verloren, und nur die Inseln Pellworm und Nordstrand blieben übrig. Während Pellworm, wie auch Föhr, vom Tourismus zehrt, ist es doch viel ruhiger auf Pellworm als auf Föhr. Selten wird man hier von einem Auto bedrängt, wenn man eine Fahrradtour macht. Die Leute sind freundlich, sie haben Zeit füreinander. „Wir kommen hierher, weil es hier nichts zu tun gibt“, erklärt mir eine zufrieden lächelnde Besucherin bei meiner Lesung im Hotel Friesenhaus. Das stimmt nicht ganz: Es gibt genügend zu tun, nur drängt kein Termin. Die Auswahl der Ausflüge ist nicht so überwältigend, dass man sich sputen muss, um alles zu schaffen. Ganz gemütlich und in aller Ruhe kann man am Deich bummeln, oder in einem der Strandkörbe die Schafe zählen, oder die Wolkenbilder vorbeitreiben sehen. Man kann durch die hübschen Geschäfte bummeln und mit den Besitzern schnacken. In den Cafés oder Restaurants sich von der einheimischen Küche verwöhnen lassen, ohne auf die Uhr zu sehen. Auf dem Fahrrad die liebevoll bepflanzten Gärten bewundern – als ich im Juni dort war, war die Insel vom Duft der Rosen umhegt, und die Pfingstrosen wetteiferten miteinander um die größte, farbigste Blüte! Natürlich gibt es auch noch den Hafen, das Museum, die Alte und die Neue Kirche, die Pelle-Welle, das Freizeitbad, das Watt ... und einiges mehr [1]. Meine Freundin Mary, selbst eine Zugezogene, versicherte mir, hier werden Fremde freundlich begrüßt, und ohne Widerstand in die Gemeinschaft der Inselbewohner aufgenommen. Schön.                                                                                                                                                      Das Hotel Friesenhaus[2] strahlt gerade so eine Art von Freundlichkeit aus. Ich freu mich auf meine Lesung in diesen gepflegten Räumen und werde nicht enttäuscht. Ein heller Raum, schön gedeckte Tische und eine herzliche Gastgeberin begrüßen die Gäste am Abend. Es ist fast, als ob die beruhigende Stimmung, die auf der Insel herrscht, auch hier keine Hektik erlaubt. Wie bei allen kulinarischen Lesungen wird die Lesung häppchenweise ins Menü eingefügt. Ich lese aus „Am Galliberg“[3]. Während die Gäste ihren Aperitif bestellen, habe ich Gelegenheit, herumzugehen und meine Zuhörer kennenzulernen. Dann lese ich den ersten Teil, und inzwischen hat der Koch schon das Vorgericht gezaubert: Ein köstliches Matjes Coulis. Bei Matjes denkt man doch: „Herzhaft!“ Dieser Matjes hat Finesse und Eleganz. Ich lese wieder zwischen Vor- und Hauptgericht - natürlich Lamm auf einer Insel, die sich das Schaf Pelle zum Maskottchen gemacht hat. Und wieder ist das Gericht auf eine Art zubereitet, die die Achtung für den Herrn Chefkoch hoch und höher steigen lässt. Wenn man in diesem Hause Urlaub macht, braucht man wirklich nichts weiter zu tun, als sich von der frischen Nordseeluft einen guten Appetit einheizen zu lassen! Den letzten Teil der Lesung lasse ich in das Dessert übergehen. Und weil doch Marys Freundin Christa vor vielen Jahren auf Urlaub in Australien war, und immer noch begeistert davon zu berichten weiß, lese ich auch aus einem der Kapitel, die in Australien spielen. 
Es ist immer noch hell, als wir das Friesenhaus verlassen. Erfüllt vom guten Essen, der Atmosphäre, und dem Gefühl, dass die Lesung gelungen war. Mary und ich machen noch einen Spaziergang durch die grünen Wiesen, über die Stille streicht, während am dunkelnden Himmel der Mond aufgeht. Am Montag kam ich an, am Mittwoch muss ich mich schon wieder verabschieden, und doch bin ich um so viele Eindrücke bereichert. Ich habe endlich die Freundin persönlich kennengelernt, mit der ich mich seit einem Jahr durch e-mails und gelegentliche Skype-Telefonate austausche. Wir sind mit Betty, dem Malteserhündchen, das vor Persönlichkeit strotzt, am Deich spazierengegangen und durch den Tammensieler Hafen gebummelt. Ich habe ein gemütliches Signierstündchen in dem wohl durchsortierten Modestübchen[4] in Tammensiel verbracht. Ich habe eine Fahrradtour zum berühmten Pellwormer Leuchtturm gemacht (er erscheint auf dem Titelbild meines Buches Ebbe, Flut und Tod, weil der Verleger fälschlicherweise dachte, ein Leuchtturm sei wie der andere!). Und ich habe die Alte Kirche mit dem Wahrzeichen Pellworms, der Turmruine, besucht. Der Turm dieses mittelalterlichen „Friesendomes“ stürzte bereits 1611 zu einem großen Teil in sich zusammen, da der weiche Wattboden seinem Gewicht nicht gewachsen war. Der neue Turm ist eine einfache Holzstruktur. Für mich ist der Besuch nostalgisch – von Föhr aus kann man die Ruine nämlich bei sehr klarem Wetter am Horizont sehen. Dann schwebt er scheinbar auf dem Wasser und strahlt etwas aus, was Vergänglich- und Ewigkeit in sich verbindet. Weiter bin ich geradelt, vorbei an der historischen Nordermühle, in der man sich heutzutage eine Ferienwohnung mieten kann. Lasse mir die seichte Brise um die Nase streichen und mich von der Inselsonne bräunen. Als ich auf die Fähre steige, und Pellworm langsam im Meer fortschwimmt, staue ich meine Erinnerungen - an die Schönheit der Insel, an die Pellwormer, an einen kleinen weißen Hund namens Betty und an eine weitere liebgewonnene Freundin. Wann werde ich wiederkehren?  


[3] Sabine Nielsen Am Galliberg, 4. Teil der Föhrer Familiensaga, erschienen 2011

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