Dienstag, 2. August 2011
Herzlich willkommen auf meinem blogspot: Autorin auf Reisen
Hier können Sie mich, die Autorin Sabine Nielsen, auf meiner sechswöchigen Lesereise durch Deutschland verfolgen. Die Reise begann im Mai 2011 und gab mir die Gelegenheit, an verschiedenen Orten und in verschiedenen Bundesländern mein neuestes Buch, den vierten Teil einer Föhrer Familiengeschichte über zwei detektiv-spielende Tanten, vorzustellen. Wenn es Sie interressiert, wie eine deutsche Autorin, die in Australien lebt und auf deutsch schreibt, so eine Lesereise erlebt, und was sie dabei lernt, und wen sie unterwegs trifft, dann lade ich Sie ein, mal in meinem blogspot herumzuschnuppern. Ach ja, und wenn Sie sich heute zum ersten Mal einschalten, erinnern Sie sich, dass Sie sozusagen rückwärts lesen – vom Ende zum Anfang ... Also, viel Spaß beim Lesen! Sabine Nielsen
PS: Für Rechtschreibefehler bitte ich um freundliche Nachsicht. Es ist unheimlich schwer, der eigene Lektor zu sein. Eine professionelle Lektorin erklärte mir mal, man selbst übersehe viele Fehler, weil man ja weiß, was man schreiben wollte, und das Auge sieht, was es zu sehen erwartet! Na, also!
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Charlotte Frohmacher blogspot
Flug nach Australien
16. Juni 2011
Ich fliege sehr gern mit der Singapore Airline. Irgendwie klappt immer alles. Verspätungen habe ich noch nie erlebt. Ich bekomme den Sitzplatz, um den ich gebeten habe. Die Flugbegleiter sind freundlich und diesmal ist sogar das Essen ausgezeichnet! Nachdem ich bestimmt alle Menüsorten ausprobiert habe, vegetarisch, asiatisch, Gluten frei, habe ich diesmal „low carbohydrate“ bestellt. Und wirklich, die Mahlzeiten ohne Kohlehydrate, mit viel Fleisch, Fisch und frischem Gemüse sind köstlich! Auch der Flughafen in Singapur gefällt mir. Er ist großzügig angelegt. So großzügig, dass sich trotz der vielen An- und Abflüge die Menschenmassen schnell verlaufen, und man nie das Gefühl hat, man hätte sich versehentlich in den Neujahrsausverkauf eines großen Kaufhauses verirrt. Ich bin kein Shopper, kann mich also nicht über die Qualität oder die Kosten der angebotenen Waren auslassen. Ich strebe meist sofort dem Airporthotel zu. Für einen geringen Preis kann man dort nämlich duschen. Nichts ist schöner, als sich nach dem langen Flug von heißem Wasser berieseln zu lassen. Handtücher, Shampoo, ein Fön werden gestellt. Danach besuche ich eins der örtlichen Restaurants oder Cafés, und dann suche ich mir eine ruhige Ecke. Davon gibt es genug – sogar wunderbar bequeme Liegecouchs gibt es. Natürlich kann man auch den Schmetterlings- oder den Orchideengarten besuchen, aber mich lockt eine Fußmassage. Die kann man sich von einem erfahrenem Masseur bestellen lassen, aber fast genau so gut (und umsonst) sind die automatischen Fußmassagegeräte. Sicher, sie können einem Vergleich mit dem elektrischen Stuhl nicht ganz umgehen, und wenn man den Massageapparatus erstmal anstellt, gibt es (fast) kein Entfliehen – aber sie wirken Wunder! Eine Viertel- oder Halbestunde auf diesen weichen Sesseln, die Füße und Unterschenkel fest vom Massagegerät umklammert, lösen ein fast euphorisches Hochgefühl aus. Ich habe meinen Mini PC, mein e-book (oder wie der Mann meiner Cousine sagt: mein Mäusekino) dabei, und ich bearbeite meinen blog, während die Flugstunden, nur von der Essenszufuhr unterbrochen, langsam vorbeischleichen. Arbeit im Flugzeug ist sogar noch besser als zweitrangige Filme – die Lider werden schwer, ich nicke ein. Immer wieder. Und irgendwann kommt dann doch die langersehnte Durchsage: Melbourne wird angeflogen. Kann es sein? Sollen wir wirklich aus dieser virtuellen Scheinwelt erlöst werden, der wir uns hingegeben haben, da uns ja nichts anderes übrigbleibt? Tatsächlich, die Türen öffenen sich, es kommt Bewegung in die mit Handgepäck beladene Schlange. Wir werden durch Tunnel, durch Korridore, durch den Duty Free geschleust ... Channel Seven filmt heute am Flughafen. Wenn Sie nicht gefilmt werden möchten, sprechen Sie bitte jemanden an. Wen? Mir ist alles egal, ich will nur raus hier, mich wieder als Person und Mensch fühlen. Noch einmal eine Schlange. Warum stehen mehr Zollbamten für die wenigen Australier bereit, die einen australischen Pass besitzen, während Gäste, Besucher, und permanent residents sich durch einen Irrgarten von Abgrenzungen quälen müssen, um in dieses Land eingelassen zu werden? Wollen sie uns etwa nicht? Endlich bin ich dran. Ein kurzer Blick, ein Stempel, fertig. War das die lange Warterei wert? Mehr Glück habe ich am Gepäckband. Mein Koffer kreiselt auf mich zu, kaum habe ich mich angestellt. Und zu verzollen habe ich auch nichts ... Ich trete in die frische, kühle Nachtluft und werde von meiner Familie in Empfang genommen. Gustav und Otto, die Königspudel, jaulen und winseln vor Freude. Mein Lebensgefährte täte es ihnen nach, wenn ihn nicht die gute Erziehung, die seine Mutter ihm zukommen ließ, zurückhalten würde. Aber er zeigt seine Freude auch so. Ich bin wieder daheim.
Abschied von Föhr
15. Juni 2011
Zum letzten Mal brause ich in meinem kleinen, pechschwarzen Toyota Yarris die Siedlerstraße entlang, Richtung Wyk. Ich fahre zeitig los, denn ich muss meinen Mietwagen noch volltanken, bevor ich ihn zurückgebe. Oh Schreck – die Tankstelle ist noch geschlossen! Kann man den Tankwart herausklopfen? Ein Schild verweist mich zu einem „Tankautomaten“. Das Ding sieht gemeingefährlich aus ... Nach kurzem Zögern überlege ich, dass wahrscheinlich auch der älteste, autofahrende Föhrer schon einmal außerhalb der Öffnungszeiten getankt hat, und dass es albern ist, sich vor einer Maschine zu ängstigen, die immerhin mit einem normalen Geldautomaten große Ähnlichkeit hat. Ich beschließe, es mutig auszuprobieren. „Stecken Sie Karte ein“, befiehlt die Maschine nach einer freundlichen Begrüßung. Ich stecke. Als nächstes muss ich die Nummer meiner Tanksäule angeben. Dies ist leichter als man denkt! Die Maschine bucht eine angemessene Summe ab, und nun darf ich tanken. Dann kehre ich zur Maschine zurück, gebe noch einmal alles ein, und ruckzuck wird die richtige Summe berechnet. Wer hat denn gesagt, das sei schwer? Herr Simonis, mein freundlicher Autovermieter fährt mich zur Fähre. Das ist Service. Zum ersten Mal fahre ich auf der neuesten Fähre der Wyker Dampfschiffsreederei. In Wyk sind die Gefühle, was die Fähre betrifft, gemischt. Einige loben die schrägen Panoramafenster und die gemütlichen Sessel, auf denen sitzend man das Gefühl hat, dem Kapitän ähnlich, die Fähre zu steuern. Andere beschweren sich über die Holzbänke, die ein, wahrscheinlich nicht Fähr-fahrender Designer, den Passagieren aufgedrängt hat. Auch die Treppe zum Salon ist unheimlich steil. Also nehme ich den Fahrstuhl. Anstatt nach oben, fährt der nach unten. Die Türen öffnen sich, und dort steht mein Cousin Hauke! So eine Überraschung! Hauke kennt sich auf der neuen Fähre aus. Er arbeitet auf dem Festland und fährt täglich hin und her. Er geleitet mich an einen Tisch, der von gepolsterten Bänken umgeben ist, und beginnt feinfühlig, mich von meinem Abschiedsschmerz abzulenken. Er ist ein lieber Mitfahrer, und da er auch nach Niebüll muss, besteigen wir auch gemeinsam die Kleinbahn. Ich hatte auf einen Kurswagen gehofft, der mich von Dagebüll (dem Fährhafen) direkt Mainz fahren würde. Aber meine gute Fee hat sich, nachdem sie das Treffen mit Hauke arrangiert hat, müde auf die Couch gelegt. Eine Bahnfahrt mit vielen Umsteigern steht mir bevor! Sollte jemand eine ähnliche Reise planen: Beim Buchen achtgeben, denn das Umsteigen in Niebüll macht wirklich keinen Spaß. Raus aus der Kleinbahn. Über die Straße zum Hauptbahnhof. Zwei Treppen runter. Einen Fahrstuhl gibt es nicht und das Gepäcklaufband ist schon seit Jahren kaputt. Zwei Treppen rauf auf den Bahnsteig. Mit großem Gepäck ist das keine Freude. Ein Glück lässt Hauke es drauf ankommen, dass er bei der Arbeit verspätet eintrifft, und hilft mir mit meinem Koffer. Im Zug nach Hamburg lasse ich die Schleswig-Holsteinische Landschaft an mir vorbeiziehen. Die grünen Weiden, die Deiche, die einzelnen, reetgedeckten Höfe. Kleine Ortschaften, typische Backsteinhäuser, eng an den Bahnsteig gebaut. Von der Hochbrücke, die über den Nord-Ostseekanal führt, sieht man Schlepper und Containerschiffe, die langsam Richtung Elbe oder Ostsee schippern. In Hamburg Altona muss ich wieder umsteigen. Diesmal in einen ICE, und dank der frühzeitigen Buchung habe ich einen Platz in der ersten Klasse für einen äußerst günstigen Preis ergattert. Dies nenne ich reisen. Ein gemütlicher Sessel, ein Tischchen, Steckdose und Internetanschluss – so etwas gibt es in Australien noch nicht! Da sich nun der Magen meldet und dank vorsichtigen Haushaltens noch genügend deutsches Bargeld vorhanden ist, beschließe ich, mir ein Mittagessen im Speisewagen zu spendieren. Der Service ist vorzüglich – das Essen auch. Und dazu die herrliche Landschaft, die draußen an den Fenstern vorbeizieht. Je südlicher wir kommen, desto hügeliger wird es. Kleine Dörfer schmiegen sich in Talmulden. Dann folgen wir dem Rhein. Rechts und links erheben sich Berge. Burgen und Burgruinen blicken auf uns herab. Gegen 16 Uhr trifft der Zug in Frankfurt ein. Noch einmal muss ich umsteigen, diesmal in eine Regionalbahn nach Mainz. Anscheinend ist auch ein Jugendorchester aus Japan unterwegs. Mit ihren Instrumenten, die allesamt größer als ihre schlanken, zart-gebauten Besitzer erscheinen, drängen sie sich durch die engen Gänge, auf der Suche nach einem Sitzplatz. Auf halbem Wege durch den Wagon erreiche ich einen Engpass. Hier stehe ich mit meinem großen Koffer, einem kleinen Rollkoffer (Kabinengepäckgröße) und meinem Rucksack. Mir gegenüber ein junger Mann mit einem Kontrabass. Hinter mir eine Schlange schnatternder Japaner, hinter ihm ditto. „Das machen wir jetzt mal so“, erklingt eine energische Stimme neben mir. „Sie schieben Ihren großen Koffer da unter den Tisch, und dann setzen Sie sich erstmal hier hin.“ Bevor ich’s mich versehe, strecken sich hilfreiche Hände aus. Jemand zieht meinen großen Koffer aus dem Weg, jemand anderes macht Platz für den Rollikoffer. Ich sinke dankbar auf den angewiesenen Platz, den ich vor lauter Aufregung gar nicht bemerkt hatte. Die energische Frau leitet inzwischen den Kontrabass um, und der Stau löst sich auf. Um mich herum freundlich lächelnde Gesichter, ich werde in das Gespräch mit einbezogen. Und ich merke, seitdem ich mich heute Morgen von Hauke verabschiedet habe, habe ich mit niemandem außer dem Schaffner und der Kellnerin gesprochen. Ich bin in wieder in Süddeutschland eingetroffen! Hier kümmern die Leute sich umeinander! In Mainz werde ich von meinen Freunden abgeholt, und der Kreis, der vor sechs Wochen genau hier begann, schließt sich. Auf ihrer herrlichen Terrasse, bei einem vorzüglichen Spargelessen erzählen wir bis spät in die Nacht. Macht nichts, morgen im Flugzeug kann ich den Schlaf aufholen ...
Letzte Tage auf Föhr
Montag und Dienstag, 13. und 14. Juni
Wie so oft wache ich früh auf und beginne ich den Tag mit Mails und mit dem Aufladen der Photos. Ein Photo lässt mich lächeln. Ich hatte das Auto auf dem Weg nach Hause angehalten, um ein besonders imposantes Wolkenspiel zu photographieren. Als ich mich umdrehte, hatte sich hinter mir am Zaun eine Reihe von Kühen versammelt. Interessiert, mit großen, feuchten Augen, verfolgten sie mein Tun. Also wurden sie auch aufgenommen. Dann ist es Zeit für einen Deichspaziergang, und auch die Blumen und Gräser in meinen Vasen müssen erfrischt werden. Um ein Uhr bin ich mit einer Freundin verabredet, die sich einst, als es wirklich notwendig war, als die beste Freundin überhaupt erwies. Zwei Jahre haben wir aufzuholen und nur einen Nachmittag!
Am Dienstag flitze ich nach Wyk, um ein paar Einkäufe zu erledigen und ein Paket zur Post zu bringen. Einige Dinge, die garantiert nicht in den Koffer passen werden! Als ich zurückkomme, ist meine Schwester aus Kiel schon da – sie wollte auch mal die Fahrradtour in die Marsch hinaus probieren. Wie ich ist sie begeistert von der Stille, der Weite, den Vögeln ... Ich brutzel uns etwas Putenfleisch mit Gemüse zum Mittagessen. Es ist schön, mal wieder Ruhe zum Kochen zu haben, und auch einfach Gastgeberin zu sein, anstatt immer selbst der Gast, wie es auf dieser Reise ja sooft der Fall war. Es ist so warm, dass wir draußen im Garten sitzen. Noch einen Besuch habe ich vor mir. Ein Schulkamerad, den ich ewig nicht gesehen habe, und seine Frau haben mich zum Kaffee eingeladen. Wie so oft ist Australien das Thema, aber dann sind wir auf einmal bei unserer Schulzeit angelangt. Diederich war im wissenschaftlichen Zweig, ich im sprachlichen. Also hatten wir nur einige gemeinsame Stunden. Ich dachte, wir hatten es teilweise schlimm getrieben, und unsere Lehrer böse geärgert – aber es stellt sich heraus, die im wissenschaftlichen Zweig waren erbarmungslos! Viel schlimmer als wir! Schließlich verabschiede ich mich von meiner Familie, und ja, das Kofferpacken ist auch noch dran. Aber darin bin ich inzwischen so geübt, dass geht fast im Schlaf ... Am nächsten Morgen heißt es früh aufstehen. Die Fähre fährt um halb acht ab.
Pfingstsonntag auf Föhr
12. Juni 2011
Als wir Kinder waren, bekamen wir zu Pfingsten stets neue Kleider. Ich erinnere mich an einen Besuch in der Kinderabteilung des Textilhauses Knudsen in Wyk (bevor es zur Lebensmittelhandlung wurde). Meine Mutter zog meine ältere Schwester und mich gern gleich oder zumindest ähnlich an. Diesmal verließen wir das Geschäft in identischen, karierten Kleidern aus einem glänzenden Stoff, der unterwärtig mit einer Art Leim bestrichen gewesen sein muss, jedenfalls waren die Kleidchen unheimlich steif und fast unbeweglich. Ich fand meins unheimlich schön. Es war rosa, das meiner Schwester blau. Kürzlich erzählte meine Schwester mir, dass sie sich nach dem ersten Mal weigerte, das Ding zu tragen. Was vielleicht erklärt, dass die Kleider nie an unseren jüngeren Schwestern auftauchten, wie es sonst üblich gewesen wäre. Eine andere Tradition auf Föhr war das Warten auf die Pfingstwagen. Früher wurden die Pfingstwagen von Pferden gezogen. Auf Wagen, die sonst vielleicht Heu hielten, saßen auf zwei langen Bänken, sich gegenüber, junge Frauen und Männer in ihrem besten Sonntagszeug. Die Wagen waren mit zartem Maigrün herausgeputzt. Die jungen Leute sangen. Ich glaube, es war mein Opa, der mir erklärte, um da mitzufahren, musste man konfirmiert, aber noch nicht verheiratet sein. In erinnere mich, dass ich mir innigst wünschte, auf so einem Pfingstwagen sitzen zu dürfen. Ich habe es nie geschafft. Anstatt auf den Pfingswagen klettere ich am Pfingstsonntagmorgen auf mein Fahrrad. Das Wetter ist herrlich, und ich habe mir vorgenommen, den Deich entlang nach Wyk zu radeln. Es ist wunderschön. Der Himmel ist blau, das Meer spiegelt sich in der Sonne, die Schafe, die sich auf dem Fahrradweg zum Ausruhen niedergelassen haben, lassen sich nicht von einem einzelnen Fahrradfahrer stören. Eine lange Zeit begegne ich keiner Menschenseele, und erst nach Näshorn, dieser kleinen Ausbuchtung der Insel, muss ich gegen den Wind anstrampeln. Ein und eine viertel Stunde brauche ich, dann habe ich Wyk erreicht. Meine Tante und Schwester erwarten mich zum Frühstück auf der Veranda. Auch das ist eine Tradition, so wie das Wetter warm genug ist, wird bei meiner Tante das Frühstück auf der Veranda eingenommen. Und am Sonntag gibt es zwei weich gekochte Eier! Weil ich endlich Zeit habe, und weil es schwer ist, alle vier Schwestern gemeinsam auf die Insel zu bekommen (zwei leben in Kiel), haben wir uns heute verabredet – im Café am Wellenbad sitzen wir in großzügigen Korbsesseln, bei weitgeöffneten Türen mit Blick auf den Strand und das Meer und verplauschen die Zeit. Bei uns Schwestern ist es anders als bei Freunden. Wir brauchen eine Weile, um uns aneinander heranzutasten. Aufmerksam, angestengt fast, hören wir auf einander – so gut kennen wir uns, dass wir auf die Untertöne, die Stimmlagen, das Unausgedrückte horchen, die uns die Seelenlage jeder angeben. Besser als durch ausgetauschte Briefe oder Telefonate finden wir uns so wieder: Wo warst du? Was hast du erlebt? Dann erst entspannen wir uns, fallen in den schwesterlichen Jargon, den wir uns über Jahre hinweg angewöhnt haben. Weißt du noch ... Wenige Worte genügen, und schon schwelgen wir gemeinsam in einer Kindheitserinnerung. Später machen wir einen langen Strandspaziergang. So schön ist es, dass man sogar ins Watt laufen kann. Als es beginnt zu fluten, kehren wir zurück. Pitschis ist eins der beiden Strandlokale, die seit der Promenadenerweiterung errichtet worden sind, und deren Tische direkt auf dem Sand stehen. Das schöne Wetter hat viele Leute rausgelockt. Alle Tische sind besetzt, und es dauert, bis die Kellnerin rumkommt. „Machen Sie sich keine Sorge um die Karte“, beteuert ein Gast am Nebentisch. „Ich bestell lieber gleich, sonst muss ich nochmal eine Runde abwarten, bevor Sie wieder an unseren Tisch kommen!“ Er sagt es ganz freundlich. Das Wetter ist so schön, und niemand will die junge Kellnerin, die allein das Strandgeschäft bewältigt, verärgern! Ich bestelle marinierte Hühnerflügel, die wir manchmal zu Hause essen, die ich aber noch nicht in Deutschland gesehen habe. Herrlich gewürzt sind sie, und krosch gegrillt. Am Abend fahre ich durch die Marsch zurück auf meinen Hof. Eine meiner Schwestern begleitet mich, weil der Abend so still ist und zu einem Ausflug einlädt. Dieter Risse, der Hofbesitzer und Vorsitzende des Vereins, der für das Vogelschutzgebiet Elmeere verantwortlich ist, ist da. Er hat ein Nest mit Kiebitzeiern auf einem Baugebiet gefunden und gerettet. In der Brutanlage bei der Villa Friede in Wyk sind sie ausgebrütet worden. Nun sollen die jungen Kiebitze in einem Freigehege langsam an das Leben in der freien Natur gewöhnt werden. Dieter bietet uns eine „Führung“ an. Mit starken Ferngläsern und anhand einer Webcam zeigt er uns die verschiedenen Vögel, die auf dem Feuchtgebiet brüten, gräsen oder auch nur ausruhen. Langsam färbt der Himmel am Deich sich rosarot, durchstreift von Wolkenfetzen.
Sonntag, 31. Juli 2011
Sonnabend und ein nostalgischer Besuch
11. Juni 2011
Meine Lesetermine hinter mir, habe ich Zeit zu allem Übrigen! Und es ist erstaunlich, wenn man Zeit hat, wie schnell sie vergeht! Ich radel noch einmal die hübsche Strecke nach Alkersum. Da habe ich nämlich letztens im Vorüberfahren einen Hofladen entdeckt. Nun, ich suche nach einem Mitbringsel, könnte ich da fündig werden? Und wirklich, schöne Sachen haben sie dort. Marmeladen, Honig, Senf, Tee, Kekse – sogar Liköre in attraktiven Flaschen. Es ist nicht schwer etwas zu finden, nur die Wahl fählt schwer ... Für mich nehme ich noch ein paar lose, frische Eier mit. Es macht Spaß, etwas zu kaufen, was nicht vorverpackt oder gar eingeschweißt ist! Ich parke mein Auto bei meiner Tante in der Badestraße und laufe zu Fuß durch die Wälder zum Südstrand. Ich bin auf dem Weg, das Ehepaar Albrand zu besuchen. Sie wohnen im Haus von Fräulein Köhler. Wenn Euch das nichts sagt: Fräulein Köhler war eine dieser herrlichen Damen, die auf Föhr schon nach dem Ersten Weltkrieg ein Kinderheim, das Kinderheim Köhler, eröffnete, und dies bis ins hohe Alter selbst leitete. Als Herr Albrand ihr Privathäuschen von seiner Tante erbte und bezog, beschrieb er diese Dame, die man auf Englisch als formidable beschreiben würde, in einem Artikel in der Inselzeitung „Wir Insulaner“. Und ich erinnerte mich an Fräulein Köhler! Einmal im Jahr, zur Weihnachtszeit nämlich, wurden meine Schwester und ich eingeladen, in Begleitung unseres Vaters, Fräulein Köhlers wunderbare Sammlung geschnitzter Holzengel aus dem Erzgebirge anzuschauen. Auch ihre Spieluhren ließ sie für uns erklingen. Spontan schrieb ich an die Albrands und erzählte ihnen davon. Ein Briefaustausch ergab sich, und eine Einladung wurde ausgesprochen. Fast ein Jahr später greife ich die Einladung auf, denn ein Versprechen musste eingelöst werden. Herr Albrand hatte nämlich beim Hausaufräumen im Keller eine alte Spieluhr aus dem Besitz Fräulein Köhlers gefunden, und die wollten sie mir schenken! Es wurde ein netter Nachmittag, auch wenn Fräulein Köhlers Häuschen sich innerlich sehr verändert hatte, von außen sieht es immer noch so aus, wie in meiner Erinnerung! Wir sprechen über das energische Fräulein, die vielen Kinder, denen sie ein Ferienerlebnis auf Föhr beschert hat, über das Leben in der Ferne, und die Rückkehr auf die Insel. Sogar den Pharisäer, dieses typische Insel- und Halligsgetränk, für das wir beide eine Schwäche gestanden hatten, vergißt Herr Albrand nicht. Die kleine Spieluhr der alten Dame steht inzwischen bei mir in der Vitrine. Ganz bis Australien hat sie es geschafft.
Am Abend hole ich meine Tante ab. In meinem kleinen Auto machen wir eine schöne Inselrundfahrt und kehren dann im Midlumer Krog zu einem wohlverdienten Abendessen ein. Der Midlumer Krog ist ein typisches Landgasthaus, beliebt unter den Föhrern, vor allem wenn eine größere Veranstaltung ansteht. Ich bin überrascht, dass auch so viele Kurgäste hier speisen!
Freitag in Grethjens Gasthof
10. Juni 2011
Mein letzter Lesetag auf Föhr beginnt wieder mit einem Besuch in Eilun Feer Skuul in Wyk. Diesmal ist es eine 9. Klasse, und sie haben sich vorbereitet! Frau Dwyer ist ihre engagierte Englischlehrerin, und sie hat ihnen die Aufgabe gestellt, sich Fragen für mich zu überlegen. Die Fragen erstaunen mich, weil sie nämlich gar nicht dumm sind! Neben der üblichen Frage: „Why did you go to Australia?” werde ich gefragt, wie ich mit dem Einleben im fremden Lande zurecht kam. Ob die Sprache mir Schwierigkeiten bereitete. Ob ich noch einmal auswandern würde ... Die Fragen sind so interessant und verlangen wohlbedachte Antworten, dass wir das, was ich mir vorgenommen hatte, nämlich einen Quiz, gar nicht schaffen! Während ich auf Frau Dwyer warte, stellt sich mir ein junger Lehrer vor. „Sie haben meinen Bruder in Melbourne kennengelernt“, erinnert er mich. Klar, stimmt ja auch! Beim Kindermarkt der Deutschen Dreifaltigkeitskirche war es. Ein junges Ehepaar bemerkte meine Bücher. „Mein Bruder hat gerade eine Lehrstelle auf der Inel Föhr angenommen“, erzählt der junge Vater mir! Ich sage ihm, dass ich einen Schulbesuch in Wyk plane, er alarmiert seine Mutter, die ihren Sohn auf Föhr ... Und so trifft man sich! Um 14 Uhr bin ich schon wieder in Wyk, die Siedlerstraße fahre ich inzwischen schon fast im Schlaf auf und ab. Müde werde ich der Strecke allerdings nie, nie kann man sich sattsehen an diesem Himmel! Heute treffe ich Peter Schulze und seine Frau Gonda – offiziell, Peter will noch Information für seinen Artikel im Inselboten, und inoffiziell als Freunde. Wir sitzen auf der herrlichen Terrasse des Strandhotels. Vor uns der Wyker Hafenstrand und die Nordsee. Praktisch für Peter, der sich kurz entschuldigen muss, als nämlich die 15 Uhr Fähre einläuft. Darauf das neue Feuerwehrauto der Oldsumer Feuerwehr, dessen Ankunft er photographisch für die Zeitung festhalten muss. Gonda und ich bleiben sitzen und werden mit dem lauten LüLa der Sirene belohnt. Natürlich musste die neue Sirene gleich einmal beim Einlaufen in den Wyker Hafen ausprobiert werden, welches Feuerwehrmannsherz schlägt nicht höher bei ihrem Klang? Dann ist mal wieder ein Abschied von lieben Freunden fällig, denn die Zeit wird jetzt so knapp, sicher werde ich Peter und Gonda bei diesem Besuch nicht noch mal treffen. Und ich muss mich aufmachen zu Grethjens Gasthof. Vorher fahre ich aber noch schnell nach Grönland. ??? Grönland ist eine schmale Straße in Boldixum. Bekannt, weil hier auch das Tierhuus seinen Sitz hat. Hauptaufgabe des Tierhuus‘ „ist die Behandlung von verletzten Wildtieren und die Betreuung von Fundtieren aller Art. Verletzte Seevögel, kranke Igel, junge Vögel und andere Wildtiere werden bei uns tiermedizinisch versorgt, großgezogen und sobald wie möglich wieder ausgewildert.“[1] Auch entlaufene oder Fundtiere können sich hier in Sicherheit wähnen. Aber nicht deshalb bin ich hier, sondern um meine Freundin Silke abzuholen, die hier in einem echten, reetgedeckten Bauernhaus wohnt. Die Lesung in ‚Grethjens Gasthof‘ findet um 17.30 Uhr statt. Wir wollten Museumsbesuchern die Gelegenheit geben, ihren Museumsstreifzug mit Kaffee und Kuchen bei einer Lesung abzuschließen. Und passen tut das Buch Am Galliberg ja wunderbar zu einem Museum voller Gemälde, handelt das Buch doch von einer gestohlenen Bildersammlung! Für das Titelbild wählten wir einen Lehmann-Brauns, „Haus Olesen vor dem Friesen-Museum Wyk auf Föhr“. Und das Museum der Westküste beherbergt selbst auch einige Bilder des Malers. Nicht nur das, die Urenkelin Paul Lehmann-Brauns, Anna Lehmann-Brauns nimmt gerade an einer Gruppenausstellung, Erinnerung - Nostalgie – Exotik, im Museum teil. Zur Einleitung erzähle ich ein wenig über den Maler, der selbst über dreißig Jahre hinweg auf Föhr Urlaub machte und über 100 Bilder auf der Insel malte. „Haus Olesen vor dem Friesen-Museum Wyk auf Föhr“ entstand 1927. Lustige Anekdoten bestehen über den Maler. Zum Beispiel schickte er stets seine Frau früh am Morgen hinaus. Sie musste bei Sonnenaufgang zur Mittelbrücke laufen. Eignete sich das Licht zum Malen, stieg der große Herr aus den Federn. Wenn nicht, schlief er weiter! Ich erzähle auch von meinem Besuch bei Frau Elke Gennrich, der Enkelin des Malers, die uns die Genehmigung zur Nutzung des Bildes im Namen der Nachfahren erteilte. Bevor ich überhaupt wusste, dass ich hier lesen würde, bat Frau Gennrich mich, ihre Grüße an ihren guten Bekannten, Dr. Sadowski, den Museumsleiter, auszurichten! Wir sind nur eine kleine Gruppe und passen gemütlich um einen großen Tisch, aber das macht die Lesung intimer. Und eine Zuhörerin, eine Wykerin, erinnert sich auch noch gut an den Maler Paul Lehmann-Brauns, und an das Pappschild, das er stets aufstellte, um Zuschauer aufzuordern, weiterzugehen! Wieder einmal hat Frau Kraus von der Leseinsel* in Nieblum den Büchertisch gestellt. Nach der Lesung verwöhnen Silke und ich uns im Restaurant Störtebeker in Boldixum. Und wirklich, solltet Ihr Föhr besuchen, dann verpasst es nicht, dort einmal einzukehren!
* Die Leseinsel
Donnerstag: Abistreich und das Haus des Gastes Nieblum
9. Juni 2011
Am Morgen steht wieder ein Besuch im Gymnasium an - die 12. Klasse in der 5. und 6. Stunde. Aber etwas, von dem schon seit Tagen gemunkelt wird, passiert. Der Abi-Streich. Muck-up day nennen sie es in Australien, wenn die Abiturienten ihre „Freiheit“ mit allerhand Streichen und Späßen feiern. Herr Wögens gibt den Schülern die 5. und 6. Stunde frei. Für mich ist es eine Chance, schnell die Wyker Verwandten Bernd Polls zu besuchen. Bernd Poll traf ich bei einer Lesung in der St. Kilda Bücherei in Melbourne. Die Familie seiner Mutter stammt von Föhr – und sie waren (fast) unsere Nachbarn, als wir noch über unserem Geschäft in der Großen Straße wohnten. Der alte Herr Voigt (auch Butter-Voigt genannt) und sein Sohn belieferten uns damals mit Butter und Käse. Viele Jahre später besuchte Herr Voigt seine Schwester in Melbourne (das muss ja Bernds Mutter gewesen sein!), und verbrachte auch einen Nachmittag bei uns. Die Welt ist klein! Am Nachmittag bereite ich mich für meine Lesung im Haus des Gastes in Nieblum vor. In Utersum hatte ich die Auswanderung hervorgehoben. Schon sehr früh stachen die Westerlandföhrer durch ihre gute Schulsausbildung hervor, dank eines engagierten Pfarrers, der Mathematik und Navigation drillte. So wandten sich viele Föhrer der Seefahrt zu, wie ja auch die Grabsteine der Walfänger auf den Friedhöfen in Süderende und Nieblum bezeugen. In Nieblum lese ich aus dem dritten Teil der Föhrer Familiensaga, Die Stimmen der Villa Blanke Hans. Aus diesem Buch lese ich fast am liebsten (und aus Die Frau des Marschbauern), es gibt da Passagen, die sich einfach vorzüglich zum Vorlesen eignen! Vorher bin ich aber noch zum Kaffeetrinken eingeladen. Bei meinen Freunden Tinchen und Herbert. Tinchen, langjährige Besitzerin des Cafés Osterheide, ist eine phantastische Bäckerin. Auch heute lässt der Kuchen nichts zu wünschen übrig! Ich bin gekommen, um Grüße ihrer alten Freundin Marlis auszurichten, die in Melbourne lebt, um mich wieder einmal an ihrem schönen Garten zu erfreuen, in dem man sogar Rehe beim Gräsen beobachten kann, und mich in ihrer Gastfreundschaft zu sonnen. Und eine Überraschung erwartet mich: Ein Ehepaar, das am Abend im Café Klein-Helgoland dabei war, aus Bad Vilbel, ist auch eingeladen! Eine nette Runde. Die Lesung ist diesmal für 20 Uhr angesetzt. Zeit genug, mich vorher mit meinen Schwestern und meiner Tante zum Abendessen zu treffen. Womit wir nicht gerechnet haben, 18 Uhr ist eine beliebte Abendesssenszeit! Fast alle Restaurants in Nieblum sind voll. Endlich finden wir etwas und erreichen so gestärkt, und gut in der Zeit das Haus des Gastes. Außer dass der Saal etwas weniger kahl und unfreundlich wirkt, wie der vom Taarepshüs in Utersum, gibt es keine großen Unterschiede. Für Atmosphäre ist hier auch nicht gesorgt worden. Hier wie da fehlen der Projektor und der CD Spieler. Dem Lesetisch fehlt jegliche Finesse. Aber die Nieblumer haben sich noch um eins übertroffen. Die Gäste und ich stehen vor verschlossener Tür! Wir warten und warten, aber niemand kommt, um uns hereinzulassen! Schließlich haben Marco und Nicole, die Besitzer der Leseinsel* in Nieblum,und Belieferer des Büchertisches, die gute Idee, jemanden anzurufen! Wenige Minuten nach acht Uhr trifft der Bürgermeister auf dem Fahrrad ein – mit einem Schlüssel! Hurra. Die Lesung kann stattfinden! Und trotz des unfreundlichen Ambientes wird es einen schöne Lesung. Ein junges Ehepaar kommt mir bekannt vor. Nach der Lesung, als sie mit zwei Büchern zum Signieren erscheinen, erinnern sie mich,: „Wir haben das erste Buch doch schon bei Ihrer Lesung vor zwei Jahren im Landhaus Laura gekauft!“ Schön, oder? Und noch etwas: Die Beiden erwarten ihr erstes Baby, vielleicht ist es bei der nächsten Lesung wieder dabei?
* Die Leseinsel
Mittwoch: Eilun Feer Skuul und Schreibwerkstatt
8. Juni 2011
Mein Tag beginnt früh. Um 8.45 Uhr in der Eilun Feer Skuul im Gymnasium Wyks. Stephanie Metz hat meinen Besuch in den 10. Klassen organisiert. Für mich ist es interessant, mal wieder in einer deutschen Schule zu stehen – dazu meiner alten Schule. Obwohl das Gebäude leider ein Neues ist. Das alte Gymnasium am Südstrand ist durch einen Neubau und einer Regionalschule am Rebbelstieg ersetzt worden. Auch die Lehrer sind mir neu, aber es wäre wohl auch zuviel verlangt, Frau Brandt (meine Englischlehrerin), Herrn Stegemann (Mathe), Herrn Schönfeldt (Bio) oder Herrn Jakob (Geschichte) oder die anderen hier anzutreffen. Einige, wie Herr Mielich, für dessen gründlichen Grammatikunterricht ich später als Deutschlehrerin so dankbar war, sind schon verstorben. Andere, wie meine verehrten Deutschlehrer, Herr Heller und Herr Tholund, sind pensioniert. Aber ich glaube, Lehrer haften so lebendig in den Köpfen ihrer Schüler, man kann sie sich schlecht anders als durch einen Korridor hastend, Schreibhefte unterm Arm, auf den Weg in eine Klasse vorstellen. Schön ist es allerdings, dass ein ehemaliger Föhrer Schüler – Karl Wögens - heute die Schulleitung unter sich hat. Und viele bekannte Föhrer Namen erkenne ich im Kollegium! Wie zuvor in Bad Rappenau und Bad Wimpfen bin ich erstaunt vom Standard des Englischen unter den Schülern. Es ist sehr gut! Zweimal gebe ich zwei Stunden – wir sprechen über Australien und die Bedingungen für eine Auswanderung. Über die Unterschiede zwischen Deutschland und Australien, und Integration in eine fremde Gesellschaft. Die Schüler beeindrucken mich durch ihre Reife, ihre Aufmerksamkeit und auch dadurch, dass sie viel realistischer über ihre Zukunft nachdenken, als ich es in ihrem Alter tat. An Auswanderung ist keiner interessiert. Lieber würden sie einen „working-holiday“ ins Auge fassen! In der dritten Stunde, meiner Freistunde, kann ich schnell einen Besuch im Johanneshaus nebenan einflechten, in dem meine Mutter lebt. Mein Besuch in der Wyker Stadtbücherei am Mittwochabend begann mit einem Brief. Zufällig hatte ich vor zwei Jahren einen Anschlag in der Bücherei bemerkt, der die „Schreibwerkstatt“ anzeigte. Ich schrieb an die Bibliothekarin, und fragte, ob die Schreiber an einem Besuch meinerseits interessiert wären. Mein eigenes Interesse am Lesen und an Büchern begann zu Hause. Unsere Eltern und unsere Tante lasen uns immer vor. Jeder war immer in irgendein Buch vertieft. Aber ich habe auch besonders schöne Erinnerungen an meine frühen Besuche in der Leihbücherei. Damals war die im oberen Stock des Polizeigebäudes in der Königsstraße. Ein kleiner Vorraum wurde von einer hohen Theke begrenzt. Hinter der Theke regierte die Bibliothekarin, und hinter ihr standen regalweise Bücher. In jenen Tagen schoben wir unsere Bücher über die Theke, und die Bibliothekarin mit blitzenden Brillengläsern und einem verschmitzen Lächeln schob uns ihrerseits eine Auswahl von Büchern zu. Daraus durften wir uns drei oder vier aussuchen. Meistens wusste ich schnell, was ich wollte, hatte ich die Bücher doch schon bei meiner älteren Schwester gesehen! Herrliche Abenteuer entdeckte ich in den Büchern und stundenlangen Zeitvertreib. Ich erinnere mich besonders die gestrenge Mary Poppins, die in mir ein leichte Gruseln auslöste. (Die Disney Poppins ist so falsch!) Als ich in der heutigen Stadtbücherei, die sich an unsere alte Grundschule anschließt, den Aushang „Schreibwerkstatt“ sah, war ich beeindruckt. So etwas gab es auf Föhr früher nicht. Wer weiß, vielleicht hätte ich viel früher den Mut zum Schreiben gefunden, wenn ich als Schülerin die Gelegenheit dazu bekommen hätte, oder wenn jemand gesagt hätte: Es ist ok, wenn du schreiben willst ... Frau Dr. Claudia Fuchs hat die Schreibwerkstatt ins Leben gerufen. Und darum geht es in der Schreibwerkstatt: „Das Schreiben als persönliche Ressource, um Kreativität und Selbstausdruck“[1] . Das Motto der Gruppe: „Alles ist gut, solange du schreibst!“ Toll. Frau Dr. Fuchs ist es auch, die auf meinen Brief antwortet, und mich einlädt, nicht nur in der Schreibwerkstatt vorzusprechen (ein Werkstattsgespräch anzubieten!), sondern auch im Café Klein Helgoland zu lesen. Etwas unprofessionell trete ich auf. Anstatt ordentlich getippten, durchdachten Notizen, mit Einleitung, Hauptpunkten und Schluss, trage ich meine Gedanken im Kopf, und schnell hingekritzelt auf einem Blatt Papier, an den Tisch. Aber ich weiß ja, worüber ich sprechen will, immerhin sind wir hier ja Autoren unter uns. Wir alle schreiben. Kämpfen mit Ideen. Quälen uns mit Dialogen. Suchen das beste Wort, den besten Ausdruck, die passendste Bezeichnung und die schönste Beschreibung. Darüber brauche ich nicht zu sprechen. Mehr wird es sie interessieren, denke ich, was passiert, wenn das Buch fertig ist. Wie man einen Verleger findet. Mit dem verhandelt. Was man von einem Verleger erwarten kann, was der von einem erwartet. Was ich übers Marketing gelernt habe. Wie man eine Lesung arrangiert ... Die Zeit verfliegt. Bevor wir uns versehen, haben wir 11/2 Stunden verschnackt, denn das ist es geworden, ein Gespräch unter Kollegen. Dabei habe ich den wohl jüngsten Autoren kennengelernt, der mir bis jetzt begegnet ist. Volli nimmt das Schreiben genauso ernst wie ich. Und genau wie ich einst Schule (als Lehrerin) und Schreiben jonglierte, tut er es. Allerdings sitzt er auf der anderen Seite der Schulbank. Volli ist vierzehn. Zusammen mit einem Feund schreibt er ein Kochbuch – für normale Jungs, die gern kochen. Volli und sein Freund probieren alle ihre Rezepte erst aus. Zu den Rezepten bieten sie Tipps: wie man Zutaten austauschen kann und, noch wichtiger, was schief gehen kann! Gleichzeitig arbeiten sie am Layout – ich bin beeindruckt. Aber auch die anderen Schreiber sind bemerkenswert. Herr Hansen, der aus seinem Interesse an der Gallionsfigur, die das Wyker Friesenmuseum schmückt, angefangen hat, seine Lebenserinnerungen aufzuschreiben. Die Schreiberin, die für ihre Hauptfigur so einen tollen Namen gefunden hat, dass man einfach weiß, der muss was passieren! Frau Diederichsen, die ihre Autobiographie schreibt, von der ich Teile gelesen habe, und die unwahrscheinlich interessant und humorvoll geschrieben sind! Die jungen Frauen, die ihre Geschichten in sich tragen und noch nicht bereit sind, darüber zu sprechen, erinnern mich an mich. Auch ich zeige niemandem etwas Geschriebenes, bis es fertig ist! Ich wünsche allen Schreibwerkstättlern alles Gute und Erfolg. Vor allem, dass sie nicht aufgeben – denn ein fertiggeschriebenes Buch ist genau das. Auch wenn es nie verlegt wird, ist es ein Werk, das man selbst geschaffen hat. Nach der Werkstatt treffe ich meine Schwester, die aus Kiel eingetroffen ist. Lange sitzen wir in Klatt’s Guten Stuben in der Mühlenstraße, speisen ausgezeichneten Fisch, unterhalten uns bis spät in die Nacht ...
Dienstag und das Taarepshüs in Utersum
7. Juni 2011
Grethjens Gasthof ist das Café, das dem Museum Kunst der Westküste in Alkersum angeschlossen ist[1]. Ein Besuch in diesem neuen Museum auf Föhr hatte ich mir vorgenommen. Nun habe ich dank Jörg Stauvermann einen weiteren Grund das Museum zu besuchen – um nämlich auf die Schnelle eine weitere Lesung zu arrangieren. Alkersum lässt sich vom Andelhof bequem mit dem Fahrrad erreichen. Nach einem kurzen Gespräch mit dem Veranstaltungsleiter des Museums, der mich an die nette Managerin des Cafés verweist, bleibt mir Zeit, mir das Museum anzusehen. Es ist erstaunlich, dass Föhr nicht nur so ein beeindruckendes Gebäude gewonnen hat, sondern auch, dass die Sammlungen und Ausstellungen so professionell gezeigt werden, und die Bilder so bedeutungsvoll sind. Leicht verbummelt man hier mehrere Stunden. Als ich mich an der Rezeption für eine Weile mit einem Bekannten, Marco, dessen Partnerin die Leseinsel in Nieblum gehört, unterhalte, werden wir immer wieder von neuen Besuchern unterbrochen. Ich bin erstaunt, wieviele Tagesbesucher dabei sind, die nur wegen dem Museum nach Föhr gekommen sind. Dann ist es aber Zeit, wieder nach Hause zu eilen. Ich muss in schnellster Eile einen Poster und Flyer für die Lesung in Grethjens Gasthof entwerfen. Und den Inselboten bitten, eine kurze Benachrichtigung desbezüglich zu veröffentlichen. Was sie auch tun! Am Abend fahre ich dann die weite Runde über Midlum, Alkersum, Dunsum und Süderende nach Utersum. Dort, mitten im Dorf, steht das Taarepshüs, das Gemeindehaus. Noch nie habe ich auf dem westlichen Ende Föhrs gelesen. Dies ist der am längsten besiedeltste Teil Föhrs. Hier leben die echten Feringer, die friesisch-sprechenden Bewohner der Insel. Außerdem steht hier auch die Nordseeklinik Utersum, eine große Rehaklinik mit vielen Gästen. Ich denke, die Utersumer hätten vielleicht auch mal Lust, über meine Föhr-Romane zu hören, ohne ganz nach Wyk fahren zu müssen. Außerdem hoffe ich auf ein interessiertes Publikum aus der Rehaklinik. Was geht schief? Sind die Plakate nicht ausgehängt worden (= nächstes Mal sich selbst um das Aushängen der Plakate kümmern; aber wie? Wenn ich doch in Australien sitze?). Ein Grund, das so wenig Zuhörer erscheinen, ist vielleicht, dass die Veranstaltung im Computer der Kurverwaltung nicht gelistet war ... Nun ja, mein Motto ist immer, ganz egal, wie viele oder wie wenig erscheinen, gelesen wird! Enttäuschend ist allerdings die Einstellung der Veranstalter: Der Projektor, mit dem ich Bilder Australiens zeigen wollte, die die tolle Landschaft vorgestellt hätten, in der die australischen Kapitel des Buches Am Galliberg spielen, fehlt. Ich wollte zur Einstimmung ein wenig australische Musik vorspielen. Ein CD Spieler ist nicht vorhanden. Am schlimmsten ist wohl der Raum selbst. Ein kalter Saal, dem jegliche Gemütlichkeit fehlt. Nackte Stuhlreihen vor einem kahlen Tisch. Kein Tischtuch, keine Leselampe, keine Blumen – keine Atmosphäre. Da muss ich jetzt gegen anlesen. Es fällt mir nicht so schwer, komischerweise werde ich von der Handlung immer mitgerissen, aber beim Publikum spüre ich diesmal eine gewisse Zurückhaltung. Sie gehen nicht richtig mit. Auch Peter Schulze, der Redakteur des Inselboten spürt das. „Sie sind heute Abend sehr kritisch!“ flüstert er mir zu. Ganz anders als am Sonntagabend. Auch der Büchertisch, diesmal von Bücher und Meehr in Wyk bestückt, wird kaum besucht. Trotz der hübschen Taschen, die Herr Moll mitgesandt hat. Schade. Vielleicht sind es ja auch die grauen Wolken, die die Insel an diesem Tag umhüllt haben. Und kein einziger Utersumer ist erschienen! Ich wende mein kleines Auto Richtung Wyk. Ich werde mich belohnen, in dem ich die Traumstraße entlang zurückfahre. Plötzlich blitzt etwas im Rückspiegel. Ich gucke hin, und tatsächlich, es ist ein Sonnenstrahl. Die dunkle Wolkenwand ist aufgebrochen und die untergehende Sonne kommt hervor. Nun ist der Utersumer Deich der optimale Aussichtspunkt für den Sonnenuntergang. Kurzentschlossen wende ich mein Wägelchen und brause zurück. Die Natur macht wett, was dem Abend bis jetzt gefehlt hat. Hier am Utersumer Deich hat man einen wunderbaren Blick auf die beiden Nachbarinseln Amrum und Sylt. Das Schauspiel der majestätisch sinkenden Sonne vor den Umrissen der beiden Inselspitzen ist überwältigend. Ein fröhliches „Guten Abend, Frau Nielsen!“ klingt mir entgegen, als ich auf den Deich haste. Es sind die netten Ehepaare aus dem Hotel Atlantis, die Geburtstag feierten!
Montag und kein Landhaus oder „Erwarte nur das Unerwartete“
6. Juni 2011
Eine gute Bekannte versucht, mir eine neue Lebensphilosophie einzubleuen: „Erwarte nur das Unerwartete“. Schwer für jemanden für mich, der gern alles bis ins letzte i-Tüpfelchen plant! Lange bevor ich abreiste, lag ich oft des Nachts wach und spielte mir die Reise und meine Termine in meinem Kopf wie einen Film ab. Wenn ich bei Montag, den 6. Juni ankam, machte mein Herz immer einen kleinen, erwartungsvollen Freudenshüpfer. An dem Abend sollte nämlich eine ganz besondere Lesung stattfinden, an einem Ort, an dem die kulinarischen Lesungen überhaupt begannen. Im Landhaus Laura in Oevenum auf Föhr. „Wir machen eine Lesung mit einem Menü, das auf dein Buch abgestimmt ist!“ sagte Jörn Sternhagen anno 2008, als Die Frau des Marschbauern herauskam. Jörn zauberte ein Diner par excellence, der Abend war so erfolgreich, das wir ihn in derselben Woche noch einmal wiederholten. Im folgenden Jahr wurde ich eingeladen, Die Stimmen der Villa Blanke Hans dort vorzustellen, und wir verabredeten uns gleich fürs nächste Buch. Inzwischen sind die Sternhagens zu Freunden geworden, die zu sehen, ich mit Freude erwarte. Und so begeistert war ich vom Landhaus Laura, das ein Kapitel im neuen Buch, Am Galliberg, sogar im Landhaus Laura spielt. „Stell mir ein Menü zusammen, dass du einer Familienfeier im Oktober servieren würdest“, schreibe ich Jörn. Und er ist gefällig- das Menü findet Ihr im Buch! Sogar Oses Blaue Bowle soll ihren Einstand als Aperitif halten. Eine Familienfeier, genauer gesagt eine Hochzeit, führt dann dazu, das die Lesung im Landhaus Laura im Jahr 2011 abgesagt wird. Über die denkbar schlechteste Verbindung, dreimal versagt das Handy ganz und gar, teilt Jörn mir mit, dass die Lesung am Montagabend nicht stattfinden kann. Ich hätte zuviele Lesungen auf Föhr, sagt er. Er könne nicht mit den billigeren Angeboten der beiden anderen Restaurants konkurieren. Es gäbe zu wenig Anmeldungen. Seine Gäste führen alle schon am Sonntagabend ab. Und da wäre halt die Hochzeit, die er angenommen hätte...
Erwarte nichts, und Unerwartetes kommt ... sagt meine weise Bekannte. Also versuche ich die riesige Enttäuschung zu schlucken. (Aber ich habe mir doch extra etwas ganz Neues zum Anziehen für diesen Abend gekauft, jammert meine Kummerseele!) Ich klaube meine ganze Zuversicht zusammen und versuche mich auf die Positiva zu konzentrieren. Dazu gehört, dass ich heute meinen kleinen, vorbestellten Mietwagen abholen darf. Mit der Abreise meiner Schwester brauche ich da draußen in meiner Abgeschiedenheit einen Wagen. Einen Toyata Yarris hat Herr Simonis von der Autovermietung Föhr[1] mir versprochen. Ich habe diese Firma gewählt, weil die Gartenstraße in Wyk leicht zu Fuß zu erreichen ist. Dann kannn ich mein Auto abholen, nachdem ich meine Schwester zum Hafen gerbacht habe. Laut muss ich lachen, als ich mein Autochen sehe! Es ist eins dieser Dinger, die von vorn keck, sogar elegant ihren Konkurenten auf der Straße entgegen grinsen. Aber hinten ist was schief gegangen, das Hinten fehlt nämlich! Dieser deutsche Toyata Yarris hat die Form eines Smarts! Toll! Herr Simonis erklärt den Gebrauch geduldig, setzt sein Vertrauen in meine Fahrkünste meiner leichten Nervosität entgegen – wie lange ist es her, seit ich ein Auto mit Gangschaltung gefahren habe? Und siehe da, es geht gut. Nein, es geht super!! Dieses Auto ist ein Spaß und eine Freude zu fahren. Ich flitze die engen Marschwege entlang. Lasse mich nicht einschüchtern, auch wenn mir ein Bauer auf einer Landwirtschaftsmaschine mit gigantischen Ausmaßen entgegenkommt, die einem Horrorfilm entsprungen sein muss. Ein einziges Rad dieses Dings ist größer als mein ganzes Auto. Und es braust auf mich zu, so dass ich mich schon im Straßengraben sitzen sehe, weicht erst im allerletzten Moment zur Seite. Puuhh ... Aber sonst geht alles wunderbar – bis ich zurücksetzen will. Den Hebel hochheben hat Herr Simonis gesagt. Hmm, ich hebe, der Wagen rollt vorwärts. Nochmal, wir nähern uns dem Gebüsch. Beim nächsten Mal stecken wir mit der Nase im Blattwerk. Ich erwäge, dass es gar nicht so schwer sein würde, auszusteigen, das Autochen hochzuheben und umzudrehen, bis wir in die richtige Fahrtrichtung zeigen, als mein netter Nachbar aus der Wohnung oben mir zur Hilfe kommt. Lächelnd deutet er auf einen Ring, der unter dem Knuppel sitzt, der den Hebel der Gangschaltung krönt. Dieser Ring muss angehoben werden ... Aha. Ein Erfolgserlebnis, das beinah über den verdorbenen Abend hinwegtröstet. Aber dann passiert das wirklich Unerwartete. Ich besuche nämlich Jörg Stauvermann von dem Büro für Strategik-Konzeption-Gestaltung Aalhai[2]. Er hat mir mit meinen Postern geholfen, und ich bin so begeistert von seinen innovativen Entwürfen, dass ich später noch ein Poster direkt bei ihm bestelle. Auch er ist einttäuscht, dass der Abend im Landhaus Laura ausfallen soll, hatte er doch seine Teilnahme geplant. „Dann mach doch was in Grethjens Gasthof!“ schlägt er vor und greift auch sofort zum Telephon. Bevor ich Einwürfe formulieren kann, hat er schon ein Einführungsgespräch für mich organisiert! Ich bin platt – und hocherfreut. Ich schließe den Abend mit einem Spaziergang ab. Eigentlich will ich nur die Kurpromenade bis zum Südstrand entlanggehen. Aber der Abend ist so still, die Abendsonne auf dem Watt so beruhigend, dass ich weiterlaufe. Und auf einmal habe ich Lust, im Pfannkuchenrestaurant einzukehren. Dieses freundliche Familienrestaurant liegt an einem bedeutenden Kurpark und hat einen herrlichen Garten. Ich sitze in einem Strandkorb, freu mich an den Kletterrosen, am Plätschern des Springbrunnen, und esse im flackernden Licht eines Windlichts einen Spinatpfannkuchen. Ganz für mich allein. Übrigens: Wider aller Erwartungen, gelingt es mir, stets auf der rechten Seite der Fahrbahn zu bleiben! Nur beim Linksabbiegen sage ich mir vorsichtshalber laut vor: „Auf der rechten Straßenseite ankommen.“ Das Linksabbiegen ist im Rechstsverkehr gefährlich, wenn man an Linksverkehr gewöhnt ist.
Ein bisschen Heimat im Gepäck im Café Klein Helgoland
5. Juni 2011
Im Café Klein Helgoland[1] ist jeder Platz besetzt! Dieses nette, freundliche Café liegt direkt am Sportboothafen, da wo der Deich beginnt. Am schönsten ist die Anfahrt auf dem Fahrrad oder zu Fuß, an der alten Mole entlang, vorbei am Zollhaus und der Wyker Polizeistation, an den Yachten mit ihrer klirrenden Takelage. Größer ist die Überraschung trifft man von der Landseite her ein. Dann kann man das Café nur erahnen, so hoch ist der Deich heutzutage, der rote Backsteinbau ist fast ganz versteckt. Drinnen wird man in Gemütlichkeit getaucht: Blau-weiße Friesenkacheln an den Wänden, blau-weißes Geschirr im Büfet, dunkles Holz, einladende Bänke und ein willkommen-heißendes Team, angeführt von Angela Hartmann. Wir wuchsen nebeneinander auf – sie im Hotel Colosseum, ich in der Firma Bohde nebenan. Angela ist eine wunderbare Gastwirtin. In so einem Ambiente klappt die Lesung – besonders wenn jemand wie Frau Dr. Fuchs[2] die Idee für diese Leseserie hatte. „Föhrer erleben ihre Welt“ hat sie diese Serie getauft, in der Föhrer Schriftsteller einmal im Monat im Café Klein Helgoland bei einem Föhrini Cocktail und einem drei-gängigen Menü ihre schriftstellerische Welt vorstellen. Trotzdem bin ich nervös. Erst zum zweiten Mal stelle ich Auszüge aus einem Buch vor, an dem ich noch arbeite – Ein bisschen Heimat im Gepäck[3]. Ich habe gehört, dass zu diesen Veranstaltungen auch gern Föhrer kommen – ein kritisches Publikum! Und wiederrum bin ich mir gar nicht sicher, ob die Lebensgeschichten deutscher Auswanderer in Australien andere genauso faszinieren, wie sie mich ergriffen haben, als ich sie erst hörte und dann aufschrieb. Deshalb sitze ich den ganzen Sonntagnachmittag im lauschigen Garten des Andelhofs und durchforste meine Manuskripte nach geeigneten Stellen. Ich beginne mit einer kurzen Passage aus Sigfrieds Lenz' Buch "Zaungast" 4 . In dem Kapitel Kookaburra beschreibt er nämlich sehr anschaulich, die zwei Möglichkeiten, sich auf eine Reise in ein fremdes Land vorzubereiten: Alles bis ins kleinste Detail recherchieren oder gar nichts vorbereiten und sich überraschen lassen. Ich wählte 1972, als ich auswanderte, die 2. Möglichkeit! Dann werde ich ein bisschen allgemein über das Auswandererschicksal erzählen, unterstrichen mit zwei Passagen aus meinem Buch Ebbe, Flut und Tod. Eine der vier Romannichten, die ihren Tanten bei dem Auflösen längst vergessener Fälle helfen, Kerrin, lebt in Australien. Bei Lesungen sage ich immer: „Kerrin ist nicht ich. Sie ist viel mutiger, als ich es jemals war. Sie meistert ihr Leben als alleinerziehende Mutter im fremden Land. Aber sie profitiert von meinen Erfahrungen als Auswanderin!“ Also lese ich ein bisschen über Kerrin. Außerdem entschließe ich mich, zwei meiner Gesprächspartner vorzustellen. Marlis ist meine liebe, etwas über 80jährige Föhrer Freundin in Melbourne. Ihre Föhrer Kindheit erlebte sie im zweiten Weltkrieg in dem Dorf Goting. Ihre beste Freundin aus der Zeit, Tinchen, hört zu. Mit ihrem Mann Herbert nimmt sie an diesem Abend teil. Und so ist die Atmosphäre im Klein Helgoland, dass Herbert sich nicht scheut, mir auszuhelfen, als ich über den polnischen Namen der Stadt Gotenhaven, in dem Marlis‘ Vater im Zweiten Weltkrieg stationiert war, stolpere. Er gibt sogar eine kleine impromptu Aufklärung über die Rolle der Stadt! Und als ich vorlese, wie Marlis von ihrem Gesang erzählt, stimmt Tinchen zu: „Singen konnte sie. Aber ihre Schwester Nanni konnte es noch besser!“ Herrlich. Auch in den Pausen überkreuzen sich die Gespräche. Die langen Tafeln laden zum Gespräch ein, hier fühlt sich keiner fremd. Und ich atme durch. Die Geschichten erregen das Interesse des Publikums. Sie wollen mehr wissen, hören aufmerksam zu. Im dritten Teil lese ich aus der Lebensgeschichte Fritz Schwabs, eines Berliners, dessen fast unwahrscheinliche Geschichte des Überlebens im Berlin des Zweiten Weltkrieges auch die Basis für mein Buch Am Galliberg liefert. Ist es zu schockierend, zu krass, was ich vorlese? Nein, das Publikum hört den persönlichen Schmerz und das Leid heraus, die sich hinter der schnoddrigen Ausdrucksweise verbergen. Ähnlich wie in Bad Wimpfen führen die Geschichten zum Austausch von Erinnerungen. Die meisten von uns Anwesenden sind nach dem Krieg geboren worden, viele von uns hören erst jetzt die Erinnerungen unserer Eltern oder Großeltern. Setzen uns erneut mit der Zeit des Dritten Reiches auseinander. Ganz besonders freue ich mich über bekannte Gesichter unter den Gästen – neben Tinchen und Herbert ist Wiebke Heldt da, die beste Fußpflegerin der Welt, der man sich noch besser anvertrauen kann, als seinem Frisör. Leise ist sie reingeflutscht, fast hätte ich sie verpasst. Zwei nette Lehrerinnen des Gymnasiums, mit denen ich bisher nur e-mail Kontakt hatte, sind gekommen. Ein anderer Freund ist Peter Schulze, Redakteur vom Inselboten, der nicht nur als Gast und Freund antritt, sondern auch in seiner professionellen Kapazität. Ein paar Tage später erscheint ein schöner Artikel über den Abend im Inselboten. Und ganz zum Schluss stellt sich ein weiteres Ehepaar vor, die Albrands. Wie ich dieses Ehepaar kennenlernte, ist eine andere Geschichte ... davon erzähle ich ein wenig später. Ja, ein rundherum erhebender Abend. Schade ist nur, dass die Wyker Buchhandlung, die den Büchertisch hätte bestellen sollen, ihren ‚Auftritt‘ verschwitzt hat. Es sind keine Bücher zum Verkauf da ... Die Autorin, die so viel intensive Arbeit in das Marketing für diese Reise gesteckt hat, ist entäuscht ... und lernt wieder dazu: Alles doppelt und dreifach checken und: Unbeantwortete e-mails können bedeuten, dass die Angeschriebenen die mails einfach nicht wahrgenommen haben.
[2] Föhrer Institut für Pädagogische Professionalität Dr. Claudia Fuchs
[3] Sabine Nielsen Ein bisschen Heimat im Gepäck, Herausgabe 2012
4 Siegfried Lenz Zaungast Sieben Reisebeobachtungen. Sonderauausgabe zum Welttag des Buches 2002
4 Siegfried Lenz Zaungast Sieben Reisebeobachtungen. Sonderauausgabe zum Welttag des Buches 2002
Ein freier Tag und Geocaching
4. Juni 2011
Am Sonnabend habe ich einen freien Tag! Ein herrliches Gefühl. Ich beginne mit einer Fahrradtour. Mein Sieben-Gang-Rad von Herrn Schulz in Wyk verdanke ich einem Tauschgeschäft. Als ich meinem Cousin dritten Grades eine Mail aus Australien sandte, ihn an unseren Verwandtschaftsgrad erinnerte (mein Vater und sein Opa waren Cousins) und ein Rad vorbestellte, kam die Antwort: „Wie wär‘s denn mit einem Tausch? Ein Sieben-Gang-Rad mit Körbchen und Schloss und Abholdienst gegen deine Bücher?“ Klar schlage ich ein! Das Rad fährt wie eine Eins! Die Reifen surren, die Gänge machen das Leben leicht! Einmal scheuche ich einen Hasen auf, der am Wegrand Gras futtert. Schnell flitzt er ins Maisfeld und sitzt dort mucksmäuschenstill. Nur seine großen Ohrenspitzen schauen oben heraus. Und ich tue etwas, was mich in meine Kindheit zurückversetzt: Ich pflücke Blumen am Wegrand. Wie oft gingen wir am Sonntag spazieren und kehrten mit großen Sträußen Margeriten, Kamille, Mohn, Kornblumen und Gräsern zurück! Der Strauß macht sich hübsch auf unserem Frühstückstisch im Garten. Ach ja, auch schöne kräftige Löwenzahnblätter habe ich mitgebracht. Nicht für die Vase, sondern für die Schlappohrkaninchen, die in Gehegen rund ums Haus leben, und mit denen wir uns schon angefreundet haben. Allerdings haben die Kaninchen ein gutes Gedächtnis: Einmal so von frischem Löwenzahn verwöhnt, erwarten sie es jedesmal ... Nach dem Frühstück streckt sich der Tag voller Möglichkeiten vor uns aus. Ein Besuch auf dem Bauernmarkt vor dem Rathaus ist ein Muss. Johannes meldet sich für ein bisschen Geocaching - den Tag zuvor hat er ein cache unter der Wyker Mittelbrücke entdeckt, der eine halsbrecherische Klettertour involvierte! Wenn Ihr noch nie vom Geocaching[1] gehört habt, besucht mal die Webseite! Es ist die neue Version der alten Schnitzeljagd. Wenn man in Wyk ist, muss man mindestens einmal am Tag über den Sandwall bummeln. Man könnte auch eins der Dörfer besuchen und gemütlich Kaffeetrinken, in Goting an der Godelmündung nach Bernstein suchen, zur Lembecksburg radeln oder zur Süderender Kirche. Oder endlich mal Spiel!Golf an der Kerzenscheune[2] in Nieblum ausprobieren ... Das Problem auf Föhr ist, es gibt so viel zu tun ...
[1] Geocaching: Ein Geocache ist in der Regel ein wasserdichter Behälter, in dem sich ein Logbuch sowie verschiedene Tauschgegenstände befinden. Jeder Besucher trägt sich in das Logbuch ein, um seine erfolgreiche Suche zu dokumentieren. Anschließend wird der Geocache wieder an der Stelle versteckt, an der er zuvor gefunden wurde. Der Fund wird im Internet auf der zugehörigen Seite vermerkt und gegebenenfalls durch Fotos ergänzt. So können auch andere Personen – insbesondere der Verstecker oder „Owner“ (englisch „Eigentümer“) – die Geschehnisse rund um den Geocache verfolgen.
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