Dienstag, 2. August 2011
Pfingstsonntag auf Föhr
12. Juni 2011
Als wir Kinder waren, bekamen wir zu Pfingsten stets neue Kleider. Ich erinnere mich an einen Besuch in der Kinderabteilung des Textilhauses Knudsen in Wyk (bevor es zur Lebensmittelhandlung wurde). Meine Mutter zog meine ältere Schwester und mich gern gleich oder zumindest ähnlich an. Diesmal verließen wir das Geschäft in identischen, karierten Kleidern aus einem glänzenden Stoff, der unterwärtig mit einer Art Leim bestrichen gewesen sein muss, jedenfalls waren die Kleidchen unheimlich steif und fast unbeweglich. Ich fand meins unheimlich schön. Es war rosa, das meiner Schwester blau. Kürzlich erzählte meine Schwester mir, dass sie sich nach dem ersten Mal weigerte, das Ding zu tragen. Was vielleicht erklärt, dass die Kleider nie an unseren jüngeren Schwestern auftauchten, wie es sonst üblich gewesen wäre. Eine andere Tradition auf Föhr war das Warten auf die Pfingstwagen. Früher wurden die Pfingstwagen von Pferden gezogen. Auf Wagen, die sonst vielleicht Heu hielten, saßen auf zwei langen Bänken, sich gegenüber, junge Frauen und Männer in ihrem besten Sonntagszeug. Die Wagen waren mit zartem Maigrün herausgeputzt. Die jungen Leute sangen. Ich glaube, es war mein Opa, der mir erklärte, um da mitzufahren, musste man konfirmiert, aber noch nicht verheiratet sein. In erinnere mich, dass ich mir innigst wünschte, auf so einem Pfingstwagen sitzen zu dürfen. Ich habe es nie geschafft. Anstatt auf den Pfingswagen klettere ich am Pfingstsonntagmorgen auf mein Fahrrad. Das Wetter ist herrlich, und ich habe mir vorgenommen, den Deich entlang nach Wyk zu radeln. Es ist wunderschön. Der Himmel ist blau, das Meer spiegelt sich in der Sonne, die Schafe, die sich auf dem Fahrradweg zum Ausruhen niedergelassen haben, lassen sich nicht von einem einzelnen Fahrradfahrer stören. Eine lange Zeit begegne ich keiner Menschenseele, und erst nach Näshorn, dieser kleinen Ausbuchtung der Insel, muss ich gegen den Wind anstrampeln. Ein und eine viertel Stunde brauche ich, dann habe ich Wyk erreicht. Meine Tante und Schwester erwarten mich zum Frühstück auf der Veranda. Auch das ist eine Tradition, so wie das Wetter warm genug ist, wird bei meiner Tante das Frühstück auf der Veranda eingenommen. Und am Sonntag gibt es zwei weich gekochte Eier! Weil ich endlich Zeit habe, und weil es schwer ist, alle vier Schwestern gemeinsam auf die Insel zu bekommen (zwei leben in Kiel), haben wir uns heute verabredet – im Café am Wellenbad sitzen wir in großzügigen Korbsesseln, bei weitgeöffneten Türen mit Blick auf den Strand und das Meer und verplauschen die Zeit. Bei uns Schwestern ist es anders als bei Freunden. Wir brauchen eine Weile, um uns aneinander heranzutasten. Aufmerksam, angestengt fast, hören wir auf einander – so gut kennen wir uns, dass wir auf die Untertöne, die Stimmlagen, das Unausgedrückte horchen, die uns die Seelenlage jeder angeben. Besser als durch ausgetauschte Briefe oder Telefonate finden wir uns so wieder: Wo warst du? Was hast du erlebt? Dann erst entspannen wir uns, fallen in den schwesterlichen Jargon, den wir uns über Jahre hinweg angewöhnt haben. Weißt du noch ... Wenige Worte genügen, und schon schwelgen wir gemeinsam in einer Kindheitserinnerung. Später machen wir einen langen Strandspaziergang. So schön ist es, dass man sogar ins Watt laufen kann. Als es beginnt zu fluten, kehren wir zurück. Pitschis ist eins der beiden Strandlokale, die seit der Promenadenerweiterung errichtet worden sind, und deren Tische direkt auf dem Sand stehen. Das schöne Wetter hat viele Leute rausgelockt. Alle Tische sind besetzt, und es dauert, bis die Kellnerin rumkommt. „Machen Sie sich keine Sorge um die Karte“, beteuert ein Gast am Nebentisch. „Ich bestell lieber gleich, sonst muss ich nochmal eine Runde abwarten, bevor Sie wieder an unseren Tisch kommen!“ Er sagt es ganz freundlich. Das Wetter ist so schön, und niemand will die junge Kellnerin, die allein das Strandgeschäft bewältigt, verärgern! Ich bestelle marinierte Hühnerflügel, die wir manchmal zu Hause essen, die ich aber noch nicht in Deutschland gesehen habe. Herrlich gewürzt sind sie, und krosch gegrillt. Am Abend fahre ich durch die Marsch zurück auf meinen Hof. Eine meiner Schwestern begleitet mich, weil der Abend so still ist und zu einem Ausflug einlädt. Dieter Risse, der Hofbesitzer und Vorsitzende des Vereins, der für das Vogelschutzgebiet Elmeere verantwortlich ist, ist da. Er hat ein Nest mit Kiebitzeiern auf einem Baugebiet gefunden und gerettet. In der Brutanlage bei der Villa Friede in Wyk sind sie ausgebrütet worden. Nun sollen die jungen Kiebitze in einem Freigehege langsam an das Leben in der freien Natur gewöhnt werden. Dieter bietet uns eine „Führung“ an. Mit starken Ferngläsern und anhand einer Webcam zeigt er uns die verschiedenen Vögel, die auf dem Feuchtgebiet brüten, gräsen oder auch nur ausruhen. Langsam färbt der Himmel am Deich sich rosarot, durchstreift von Wolkenfetzen.
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