Montag, 9. Mai 2011

Wat is'n dat fürn Deutsch?

Am blauen Morgenhimmel steigen weiße Kondenzstreifen steil in die Höhe. Sie überkreuzen sich, zeichnen Bahnen diagonal und parallel zueinander. Scharfe, klare Linien, die sich in wenigen Minuten schon aufdunsen, verbreitern, zu Straßen werden, Autobahnen sogar, um sich bald darauf aufzulösen, um von Neuen ersetzt zu werden.  Die morgendliche Stille wird nur vom brummenden Dröhnen der aufsteigenden Flugzeuge unterbrochen, die sich vom 30km entfernten Frankfurter Flughafen, alle paar Sekunden erheben. Es ist kein unangenehmes Geräusch, es ist wie ein Konzert, dessen Klänge man nur aus der Ferne vernimmt, so dass die Laute der Instrumente sich vermischen, zu einem murmelden Chor werden. "Ein Glück hört man sie nur etwa einen Monat im Jahr - bei Ostwind", sagt mein Gastgeber. Wieder schwebt einer der dieser weißsilbernen Vögel über unsere Köpfe hinweg, gefangen in der Warteschleife der Flugzeuglotsen, zieht er geduldig eine elegante Kurve. Scheinbar geräuschlos, der Trommelwirbel der Motoren folgt später, unabhängig.
Um 5 Uhr weckt mich die Morgendämmerung. Sonnenstrahlen streicheln die Baumkronen, wecken die Vögel, erwärmen die Terrasse, auf der ich nun sitze. Über der grünen Hügelkette des Taunus hängt ein leichter Dunst. Windräder drehen sich majestätisch. Ich bin der Rheinlandpfalz, seit Samstagmorgen um 6 Uhr.
Da landete mein Flieger, verfrüht. Die Kontrollen verliefen schnell, fast ist noch nichts los. Auch mein Koffer lässt nur wenige Minuten auf sich warten. Es war ein guter Flug, und nun bin ich bereit.
Von meinen Gastgebern abgeholt, fahre ich kurz darauf durch grüne Felder, über Landstraßen, die auf beiden Seiten von Bäumen umrandet sind. Birken, Ulmen, Eschen, Eichen, Buchen - ein grüner Mischwald, an den ich denken werde, wenn ich wieder in Australien bin, in den mich jetzt hineinsehe ... Dann schlendern wir über den Mainzer Marktplatz. An einer Seite die herrlichen Fassaden der Mainzer Markthäuser, auf der anderen Seite der mächtige Dom. Die bunten Marktstände halten Obst und Gemüse feil, Käse, Spreeländer Salzgurken direkt aus dem Fass, frischgebackene Brote und Brötchen. Um mich herum fliegen Wortfetzen. "Was is'n das für'n Deutsch?" fragt ein Passant, ist verschwunden, bevor ich ihn fragen kann, was seine Frage auslöste. "Gude Morjsche", ruft meine Gatgebeberin einer Bekannten zu. "Gude Morjsche!" kommt die Antwort. "Mer gehe jetzt uf`'n Markt.". Ein angenehmer Tonfall, eine freundliche Sprache, in die sich man schnell hineinhört. Die Bahn wird zum Bähnjsche, die Fahne zum Fähnjsche und Mainz für die Mainzer ist Meenz. Durch gepflasterte Gassen, vorbei am ältesten Wirtshauses Mainz', gegründet im Jahre 1555, wo die Gäste draußen unter zart-grünen Ulmen sitzen, nie weit entfernt vom Dom, vorbei an ausladenden Beeten, in denen die Stiefmütterchen, die dort überwintert haben, ihre Gesichter in die Sonne recken, an Gebäuden, die einst die  französichen Besatzungsmächte Napoleons beherbergten, am Fastnachtsbrunnen, der die ganze Mainzer Fastnachtsgeschichte aufzeichnet, unter einer Allee blühender Kastanien. Noch ein bisschen weiter, und wir sitzen am Rhein, grad dort, wo der Main in seinen großen Bruder mündet. Die Schleppkähne ziehen vorbei, modernere Inkarnation der Schleppkähne, die Böll so unermüdlich in seinen Büchern beschrieb, so dass ich mich fühle wie Leni Pfeiffer*, die mit ihrem Boris schon wenige Wochen nach der deutschen Niederlage am Rheinufer saß. Zur Linken eine alte Brücke auf gemauerten Füßen, zur rechten eine Eisenbahnbrücke. "Ist die alt?" frage ich. Vermute Römer hinter den den soliden Mauerarbeiten. Habe vergessen, dass fast sämtliche Brücken über den Rhein im Krieg zerstört wurden. Von den Deutschen, die den Vorzug der Allierten verhindern, von den Allierten, die Hitler aufhalten wollten.
Am Abend noch eine alte Gastwirtschaft. "Der Spiegel" befindet sich in einem Fachwerkhaus mit spitzem Giebel. Der Spiejschel. Im Spiegel gibt's Deftiges: Handkäs mit Musik, Spundkäas (für den Nordeutschen ein Art angemachter Quark. Ich entscheide mich für 'Nackeesche mit Klein Parweck'. Übersetzt ist das eine Weißwurst ohne die Haut, rohes Hackfleisch pikant gewürzt mit gehackten Zwiebel an der Seite, und vier kleinen, knusprigen Brötchen - luftig und leicht wie Zauberwatte. Dazu gibt es Wein von Winzern, dessen Weingärten die umliegenden Hänge bedecken. Leichter, würziger Wein, der blass wie die Frühlingssonne im Glas glänzt.
Am nächsten Abend - und tatsächlich habe ich die erste Nacht geschlafen wie ein Stein - fahren wir an den Rand des Taunus. Auf das Weingut Breidscheid - was man in Australien als eine boutique winery bezeichnen würde. Der Ausschank ist erst seit gestern wieder geöfnnet - nach einem uralten, von Karl des Großen verordneten Gesetz, dürfen die Straußwirtschaften nur 90 Tage im Jahr öffnen. Das ist gerecht, denn die Konkurrenz will ja auch ihren Lebensunterhalt verdienen! Straußwirtschaften erkennt man an dem Sträusjsche  oder dem Kränsjsche, welches über der Tür hängt. Natürlich.
"Wenn's Sträusjsche hängt, wird ausgeschenkt." An langen Tischen, auf Holzbänken, sitzen wir. Der Blick schweift über die Weinhänge ins Tal, wo die Kuppel der katholischen Kirche mit dem Turm der evangelischen wetteifert. Während ich Schwartenmagen esse (ein pikante Art von Fleischpastete, auch als Wurjscht nicht ganz falsch bezeichnet) senkt sich die Sonne sich langsam hinter das rheinische Hügelland.
Und noch etwas beobachte ich erster Hand, die berühmte Freundlichkeit derer, die im südlichen Deutschland leben. Wir betreten ein Lokal. Der erste Tisch ist besetzt. Am zweiten sitzt ein einzelner Herr. Der dritte ist wieder frei. Nach kurzem Zögern wählen meine Gastgeber den dritten Tisch. Wir vertiefen uns in die Speisekarte. Der Herr nebenan starrt uns an - ist meine Frisur falsch? Habe ich mich unbewusst verschmutzt? Nein, die Antwort liegt im folgenden: Kurz nach uns betreten zwei weitere Herren das Lokal. Obwohl noch mindestens fünf Tische frei sind, steuern sie sofort den Alleinsitzenden an. "Aha, ein einzelner Herr!" ruft einer der Neuankömmlinge erfreut, "Dürfe wir uns dazusetze?" (Auf Mainzerisch) Meine Gastgebrin beobachtet mich amüsiert. "Siehste", sagt sie, "Darauf hat er nämlich gewarded. Der is' nich hierhergekomme, um sein' Wein zu drinke, der ist hier wegen der Gesellschaft. Und nun gugge mal .." Und ich gucke und staune. Nach wenigen Minuten sind die drei Herren eifrig und angeregt im Gespräch vertieft! Beschämt stelle ich fest, der hat nicht geguckt, weil ich wegen was auffalle, der war empört, dass wir nicht dem Gesetz der Meenzer Gastfreundschaft gefolgt sind, und uns zu ihm dazu gesetzt haben. Am nächsten Tag folge ich meinen Gastgebern an einen Tisch, an dem schon ein Ehepaar sitzt, ohne mich zu genieren. Als wir uns veabschieden, wissen sie, dass ich aus Australien zu Besuch bin, habe ich von ihrem Onkel erfahren, der in den 60er Jahren nach Australien auswanderte und vor acht Wochen verstorben ist. Wir haben unsere diversen Berufslaufbahnen erläutert, wissen, wer zu welchem Friseur geht, und wo man hier in der Gegend den bejschte Kuche bekommt. Der Abschied ist herzlich, eben wie unter guten Freunden.

* Heinrich Böll, Gruppenbild mit Dame


Die Lorelei

Montag, 9. Mai 2011

Eigentlich wollte ich mich schon heute auf den Weg nach Bad Wimpfen, meinem ersten Leseort machen – aber meine lieben Mainzer Freunde, Heidi und Manfred, verweigern mir die Abfahrt bis ich zumindestens noch ein bisschen mehr von ihrer herrlichen Umgebung gesehen habe. Wie kann ich so ein Angebot ausschlagen? Der erste Vorschlag ist eine Wanderung zum Niederwald Denkmal, das oberhalb  Rüdesheims liegt. Die „Germania“ wurde 1871 errichtet und „jedes Jahr pilgern mehrere tausend Touristen und Einheimische zur Germania, um der Gründung des neuen Deutschen Reiches unmittelbar nach dem Deutsch-Französischen Krieg zu gedenken“, liest man auf der Homepage. Klingt toll, aber auch anstrengend. Dann erkennen meine aufmerksamen Gastgeber aber durch einige Bemerkungen meinerserseits, dass ich noch nie die Lorelei besucht habe. So einen Bildungslücke muss sofort gefüllt werden! Und so besteigen wir am Montagmorgen in Bingen (berühmt durch die Äbtissin Hildegard) einen gemütlichen Rheindampfer und schippern bei herrlichstem Sonnenschein den Rhein entlang. Dieser Teil des Flusses (der Mittelrhein) ist wirklich faszinierend. Ich kann fast nicht schnell genug Notizen machen, um mit den Erklärungen mitzuhalten, die die Schlösser, Burgruinen und Abteien erläutern, an denen wir vorbei fahren. Aufregenden Kämpfe fanden an der Burg Ehrenfels statt, die wahrscheinlich 1211 erbaut wurde. Und eine greuliche Sage umwebt den Mäuseturm, einen alten Zollturm, der vom Mainzer Erzbischof Hatto II. im 10. Jahrhundert erbaut wurde. Als der hartherzige Bischof während einer Hungersnot den Armen Hilfe aus seinen gefüllten Kornkammern verwehrte, wurde sein Sitz von einer Mäuseplage heimgesucht. Der Bischof versuchte sich auf die Insel zu retten, auf der er den Turm gebaut hatte, jedoch die Mäuse folgten ihm und fraßen ihn bei lebendigen Leibe! Hah! Vorbei an Burg  Rheinstein, Burg Reichenstein, Ruine Nollig ... und weiter geht es zur Lorelei. In meiner Unwissenheit hatre ich mir die Lorelei immer als eine Figur ähnlich der kleinen Seejungfrau in Kopenhagen vorgestellt. Und  dass der berüchtigte Felsen, der so vielen Rheinschiffern das Leben kostete, mitten im Rhein stände. Nun sehe ich, dass die Lorelei ein hoher Felsvorsprung ist, der in den Rhein hineinragt, und dass die Strömungen für die Gefahren sorgen. Die Jungfrau mit den goldenen Haaren lässt sich nicht sehen. In St Goar steigen wir aus. Auch über diesem hübschen kleinen Städtchen thront eine Burg. Eigentlich wollten wir die Aussicht genießen, aber unser Boot hat sich etwas verspätet, und wir haben  nicht genug Zeit. Macht nichts, die Burg sieht auch von unten schön aus, und das Städtchen mit seinen herrlichen Fachwerkhäusern ist reizvoll genug. Zum Abschluss dieses schönen Tages fahren wir noch nach Bad Kreuznach. Die Brückenhäuser aus dem 15. Jahrhundert sind das Wahrzeichen der Stadt und lohnen sich anzusehen. In der Abenddämmerung sitzen wir dann im lauschigen Garten eines Weinguts. Ich glaube, es wäre gar nicht schwer, hier zu bleiben ...


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen